„Mächtiges Gefühl der Scham“

Von Benjamin Engel, Wolfratshauser und Starnberger SZ 24. Januar 2018

Münsing – Die Musiktheaterregisseurin Verena von Kerssenbrock bewundert ihren Urgroßvater Colombo Max (1877 bis 1970). „Für uns war er immer der Nonno“, erzählt sie. Der Maler und Sohn des Künstlers Gabriel von Max sei ein Vorbild gewesen, das sie als Kind noch persönlich erlebt habe. Colombo Max habe sehr viel gewusst, ganz in und mit der Natur gelebt, erinnert sie sich. Eine weitere Facette lernte Kerssenbrock kennen, als sie auf seine mehr als 1000 Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg stieß. Die zeigen ihn und seine Frau Paula als Skeptiker gegen den Kriegswahnsinn. Daraus ist ein Buch entstanden: „Die Münchner Künstlerfamilie Max. Feldpostbriefe 1914-1918“.

Von der Lektüre der Briefe war die Regisseurin sofort begeistert. „Das sind wahnsinnig spannende, sehr detaillierte Zeitdokumente“, erläutert sie. Paula hatte aus Liebe zu Colombo – sie hatten 1910 geheiratet – ihre Tanzkarriere aufgegeben. Am Gasthaus in Ammerland – in dem Ort hat die Künstlerfamilie Max ein Sommerhaus – liest sie von der Mobilmachung der deutschen Soldaten und notiert am 5. August 1914 in ihrem Tagebuch: „Man glaubt zu träumen, hier diese Ruhe und draußen soll Krieg werden. Mein Verstand kann diese beiden Dinge nicht vereinen.“ Warum ein so selbständiger Mann wie Colombo gezwungen wird, „alles zu verlassen und zum Raufen zu gehen“, versteht sie nicht. „Sind die Menschen noch nicht reif und gebildet genug, um sich so blutig wie Buben oder Raufbolde zu schlagen.“

An dem Buch hat Kerssenbrock fünf Jahre gearbeitet. Sie transkribierte die teils nur schwer entzifferbaren handschriftlichen Feldpostbriefe aus fünf Kriegsjahren. Die Korrespondenz war teils in Familienbesitz, teils wurde sie im Archiv des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg fündig. In den Räumen lagerten viele Briefe in Kisten, erzählt sie. „Die waren noch ungeordnet.“ Die ursprüngliche Idee, die Briefe nur für den privaten Familienkreis zu bearbeiten, gab Kerssenbrock bald auf. Zu spannend erschienen ihr die Briefe als Zeitdokumente für die Öffentlichkeit. Sie kontaktierte den Münchner Scaneg Verlag, der das Buch Ende 2017 herausgab.

Colombo Max wurde als Unteroffizier der Landwehr eingezogen. Von Ingolstadt kam er mit seinem Bataillon im Oktober 1914 an die Westfront. Seine Aufgabe war es, die Infanterie mit Munition zu versorgen. Später war er für die Verpflegung der Soldaten verantwortlich. Noch in Ingolstadt hält Colombo beim Anblick von gefangenen französischen Soldaten fest: „Wenn sie nicht rote Hosen anhätten, könnte man sie für intelligente Bayern ansehen.“ Im April 1915 schreibt er an seine Frau aus Fournes im französischen Flandern von Totenkreuzen, die wie Blumen in den Himmel wachsen. In der Kirche hat die Muttergottes keinen Kopf und keine Hände mehr. „Weggeschossen“, notiert er. „Bei Anblick von Verwundeten, Leichen und all dem Zerstörten habe ich immer nur ein mächtiges Gefühl der Scham“, schreibt er ein paar Tage später.

In inniger Verbundenheit präsentiert sich die Familie Max mit Paula, Colombo und Sohn Thomas (von links) auf einem Gemälde. Foto: Privat

 

Colombo und seine Frau korrespondierten fast täglich. Von Kriegsbegeisterung ist dabei nie zu lesen. Er kann nicht verstehen, warum nur von der hohen Begeisterung der Soldaten und den mächtigen Tönen der Kanonen geschrieben wird. Der Kriegslärm erzeugt in ihm „Wut aus Scham über die Menschheit“. Diese pazifistische Grundhaltung hatte wohl auch mit seiner Erziehung zu tun. Colombo war das dritte Kind aus der Ehe des Malers Gabriel von Max (1840 bis 1915) mit Emma Kitzing. Er hatte noch eine Schwester, Ludmilla, und den Bruder Corneille, ebenfalls Maler. Auf Wunsch des Vaters lebte die Familie isoliert. Er selbst und Hauslehrer unterrichten die Kinder, die keine Schule besuchten. Eine Kinderbuchautorin berichtet, dass die Buben auch nicht mit Soldaten spielen durften

Schrecken ohne Ende

Der Widerstandskämpfer Thomas Max wurde in den letzten Kriegstagen von einem glühenden Nazi in Grünwald erschossen. Das Ereignis wirkt bis heute nach, in der Familie des Opfers und der des Täters

Von Bernhard Lohr

Alles schien nach Plan zu laufen. Thomas Max war in seiner Wohnung, als gegen 8 Uhr die Meldung über Radio verbreitet wurde, die Freiheitsaktion Bayern (FAB) habe die Kontrolle über staatliche Stellen übernommen. Er wurde am Morgen des 28. April 1945 vom Glücksgefühl des nahenden Kriegsendes übermannt und tanzte vor Freude. Dann klingelte das Telefon. Man rief ihn als Arzt zu einem Verletzten ins nahe Rathaus. Seine sechsjährige Tochter Veronika wollte noch mitkommen. Doch ihr Vater wies sie an zu bleiben. Kurz darauf traf Max auf den glühenden NS-Anhänger Friedrich Ehrlicher. Es gab ein Wortgefecht. Und dann hörte die Tochter im Garten des Hauses die Schüsse, die ihren Vater im Alter von 38 Jahren tödlich in den Rücken trafen.

Thomas Max war mit den Kreisen um die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ befreundet und Anhänger der Freiheitsaktion Bayern, deren Mitglieder sich am 28. April an 78 Orten erhoben, um das sinnlose Sterben zu beenden. In Grünwald machten sich die Aktivisten daran, Sprengladungen an der Grünwalder und der Großhesseloher Brücke zu entfernen. Thomas Max setzte mit Freunden in den frühen Morgenstunden zudem den Ortsgruppenleiter Karl Müller und andere Nazigrößen im zweiten Stock des Rathauses fest. Zwei FAB-Aktivisten schoben Wache, als Friedrich Ehrlicher, Zugführer des Grünwalder Volkssturms, in Begleitung von zwei Hitlerjungen kam und die Nationalsozialisten befreite. Dabei wurde der FAB-Mann Erich Sachsinger durch Schüsse an Schulter und Achsel verletzt und Thomas Max wurde gerufen, um seinem Mörder in die Arme zu laufen. Der Aufstand der Freiheitsaktion brach zusammen und die NS-Herrschaft wurde um Tage verlängert. Am 1. Mai rollten Panzer der US-Armee durch Grünwald.

Thomas Max‘ Enkelin Verena von Kerssenbrock hat ein Buch zur Familiengeschichte veröffentlicht. An die Wand projiziert: Thomas Max mit seinen Eltern Colombo und Paula.

Mehr als 70 Jahre später hat Veronika von Kerssenbrock die Schüsse noch im Ohr, die ihr den Vater raubten und das Leben der Familie veränderten. Sein Tod war ein Schock für sie und ihren damals achtjährigen Bruder Nikolaus. „Ich habe ihn noch tot gesehen“, erinnert sich der heute 81-Jährige an das Bild, wie der Vater in einer blutdurchtränkten Militärjacke mit entfernten Hoheitsabzeichen in einem Schuppen in der Nähe des Tatorts lag. Dort hatten ihn Ehrlichers Anhänger lebend hingebracht. Erst zwei Stunden nach seinem Tod wurde die Familie benachrichtigt.

An die Ermordung von Thomas Max am 28. April erinnert ein Gedenkstein vor dem Rathaus. Die Dr.-Thomas-Max-Straße ist nach dem Mann benannt, dem der Widerstand gegen Gewalt und staatliche Willkür in die Wiege gelegt schien. Thomas Max war Adoptivsohn des Malers Colombo Max, der unter dem Eindruck der Gräuel an der Front im Ersten Weltkrieg eine stark pazifistische Ader entwickelte. In einem Feldpostbrief schrieb Colombo Max an seine Frau Paula den prophetischen Satz „Tommi muss ein Freiheitskämpfer werden. Wir sind’s nicht. Noch nicht“. Als sein Sohn ermordet wurde, wollte Colombo Max erst nicht mehr leben und wurde dann für seine Enkel Veronika und Nikolaus Vaterersatz. Sie besuchten ihn in der Max-Villa in Ammerland am Starnberger See, wo der Historienmaler Gabriel von Max schon gelebt und gearbeitet hatte, der Vater von Colombo und Corneille Max – der Malerbrüder aus Ammerland.

Colombo Max kam nie richtig hinweg über die Ermordung des geliebten Sohns , den er in seinen Feldpostbriefen im Ersten Weltkrieg viele Male als „lieben Tommi“ Grüße und Küsse ausrichten ließ. Auch ein Brief des gerade elfjährigen Tommi an seinen Vater, der als Soldat in Frankreich war, ist in dem dieser Tage erschienenen Buch „Die Münchner Künstlerfamilie Max“ abgedruckt, in dem Tommi seinem Vater von den Ereignissen im November 1918 berichtet: „In München ist Revolution! Die Soldaten sind frei und haben heute Nacht in die Luft geschossen. Maschinengewehre haben sie aufgestellt und Unser König hat abgedankt. Bayern ist Republik! […]Gruß und Kuss Dein Sohn Tommi“ Diesen Umsturz erlebte Thomas Max als Kind freudig mit, so wie er als Erwachsener das Kriegsende 1945 erwartete. Als Familienvater war Thomas Max in den Widerstand gegen Diktatur und Militarismus gegangen, als es geboten war – und fand doch nur den Tod.

Der nur ein Jahr ältere Todesschütze Friedrich Ehrlicher stand politisch auf der Gegenseite. Er war seit 1930 Mitglied der NSDAP gewesen und unter anderem Leiter der Abteilung Propaganda/Rednerwesen im Gau München-Oberbayern. Von 1938 bis 1945 führte er das Stadtjugendamt und kämpfte bis zum Schluss für den Fortbestand der Diktatur. Im Jahr 1952 musste er sich wegen der Schüsse auf Thomas Max vor Gericht verantworten. Colombo Max verfolgte die Verhandlung und erlebte, wie seine Familie ein zweites Mal Opfer wurde. „Richter zu alt (National verkalkt)“, notierte Colombo Max damals in sein Tagebuch. Stimmung „pro Ehrlicher“. Dieser sei ein „sturer Nazi“ und „militärisch“. Die Anklage lautete auf versuchten Totschlag an Sachsinger und Totschlag an Max. Ehrlicher wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Ein viel zu mildes, ungerechtes Urteil, wie Colombo Max fand, weil er nicht gelten ließ, dass Ehrlicher angeblich in Notwehr gehandelt hätte. Thomas Max war beim Zusammentreffen bewaffnet. Aber: „Wenn Tommi wirklich geschossen hat, war es in Notwehr. Er konnte sich denken, dass er in den nächsten Stunden gehängt würde, wenn er lebend denen in die Hände fällt.“ So der Vater. Der Täter war jedenfalls bald raus aus dem Gefängnis. Grund sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren, sahen er und seine Familie über Jahrzehnte in der jungen Bundesrepublik nicht.

So geriet für die Familie von Thomas Max das Ende des NS-Regimes nicht zur inneren Befreiung. Die Gesellschaft war in den Fünfzigerjahren weit davon entfernt, Widerstandskämpfer als Helden anzusehen. Die Münchner Familientherapeutin Eva Madelung und der Historiker Joachim Scholtyseck beschreiben in ihrem Buch „Heldenkinder, Verräterkinder: Wenn die Eltern im Widerstand waren“, wie belastend für viele Nachkommen das Erbe war. NS-Täter wie Friedrich Ehrlicher waren nicht nur vor national gesinnten Richtern wieder obenauf. Der Verdienst etwa der Männer des 20. Juli wurde herabgesetzt und linker Widerstand nicht anerkannt. Behörden erließen Bescheide, dass „keine staatliche Unterstützung an Verräterfamilien“ zu zahlen sei. Selbst Mitglieder der „Weißen Rose“ hätten sich nicht getraut, sich öffentlich zum Widerstand zu bekennen, schreiben Madelung und Scholtyseck. Widerstandsfamilien seien isoliert gewesen und auf sich gestellt und hätten unter einem janusköpfigen Vermächtnis der Widerstandskämpfer zu leiden gehabt: Helden oder Verräter? Täter oder Opfer? Das war für viele Menschen damals nicht ausgemacht. Madelung und Scholtyseck gehen dem Phänomen in Interviews mit Betroffenen auf den Grund.

Nikolaus Max musste als nicht einmal zehnjähriger Bub erleben, wie verstörend die Umwelt auf die Ermordung seines Vaters reagierte. Der Täter kam gefühlt mit einem Freispruch weg. „Das Ganze ist der Familie sehr nahe gegangen“, sagt der 81-Jährige. Die Familien Ehrlicher und Max kannten sich. Man begegnete sich. Nikolaus Max ging sogar mit einem Sohn des Friedrich Ehrlicher in die Schule und hörte sich an, wie dieser sagte, dass dessen Vater seinen erschossen habe. Mit dem Täter kreuzten sich die Wege des Nikolaus Max später beinahe, als er in München an der Briennerstraße Kurse an der Gewerbeschule besuchte. Friedrich Ehrlicher war dort tätig. Max belegte einen Samstagskurs, Ehrlicher arbeitete dort unter der Woche. Begegnet sind sie sich nicht. Und doch war Nikolaus Max immer klar, wenn er die Schwelle zur Schule überschritt: Hier geht auch der andere ein und aus.


Dann vergingen Jahrzehnte. Nikolaus Max machte als Kaufmann sein Glück. Friedrich Ehrlicher lebte später in Haar. Die Geschehnisse vom 28. April 1945 gerieten in den Hintergrund. Doch wie durch ein unsichtbares Band blieben die Familien Max und Ehrlicher durch die Vergangenheit weiter verbunden. Ein Sohn von Friedrich Ehrlicher sprach Veronika von Kerssenbrock vor zehn Jahren bei einer Gedenkfeier für ihren Vater in Grünwald an und offenbarte ihr, dass auch die Täterfamilie bis heute unter dem Ereignis am Kriegsende leidet. Gesprochen wurde aber lange nicht darüber. Jetzt vor kurzem erst wandte sich ein Guy Hofmann mit einem Brief an Veronika von Kerssenbrock. Er ist ein Großneffe zweiten Grades des Volkssturmmanns Friedrich Ehrlicher. Hofmann kam nach dem Krieg zur Welt und war schon jenseits der 50, als er erkannte, wie in seiner Familie das Verbrechen an Thomas Max verdrängt wurde. Eine beiläufige Bemerkung in der Familie brachte Hofmann darauf, den Namen des entfernt Verwandten in eine Internet-Suchmaschine einzugeben, wo er auf einen Artikel in der Online-Enzyklopädie Wikipedia über seinen Großonkel stieß.

Als Guy Hofmann von dem Mord an Thomas Max erfuhr, versetzte es ihm einen Stich. Er dachte an Thomas Max‘ Tochter und Sohn und seine fünf eigenen Kinder im Alter von drei bis 14 Jahren. Er fand den Gedanken furchtbar, dass Max‘ Kinder keinen Vater gehabt haben. Die Tat eines Fanatikers, sagt Hofmann. In der Familie war das aber nie offen Thema. „Es ist wirklich abenteuerlich“, findet Hofmann. Er und Veronika von Kerssenbrock telefonierten und sie gab ihm weitere Unterlagen. Von Kerssenbrock gibt sich heute versöhnlich und sagt: „Ich glaube, dass es im Moment für diese Familie noch viel schlimmer ist, die Geschichte zu verarbeiten. Als Kind war es natürlich schwer, aber für mich ist es vorbei. Wenn ich ihnen dabei helfen kann, es zu verarbeiten, ist das in Ordnung.“ Die Kinder könnten schließlich nichts dafür.

Doch es lässt sie auch nicht los. Guy Hofmann engagiert sich heute im Osnabrücker Forum „Kriegskinder und Kriegsenkel“ und fragt sich: „Wie viel Nazi steckt in mir?“ Dem gebürtigen Münchner gehen Szenen aus seiner Kindheit und Jugend nicht mehr aus dem Kopf. Ihn beschäftigt, dass Friedrich Ehrlicher lange den 8. Mai als einen „Tag der Niederlage“ bezeichnete und sein Großvater, ein erfolgreicher Geschäftsmann in München, noch in den Sechzigerjahren an Hitlers Geburtstag, dem 20. April, die Reichskriegsfahne hisste. Die Firmenfahrzeuge waren nicht zufällig schwarz-weiß-rot lackiert, in den Farben der umstrittenen Reichskriegsflagge.

Der gelernte Gesundheits- und Krankenpfleger Guy Hofmann erkennt in manchen, die in seiner Generation psychische oder körperlichen Leiden entwickeln, „Symptomträger“, die mit der „gewissen Gefühlsunterkühlung der Eltern“ zu kämpfen haben. „Mit diesem Schicksal bin ich nicht alleine.“ Über Krieg und Schuld zu sprechen war wichtig für Hofmann. Mit seiner Mutter oder Tante ging das nicht.

Hofmann arbeitet nun die Familiengeschichte auf. „Ich kämpfe gegen das Vergessen an“, sagt Hofmann. Gemeinsam mit einem Enkel Friedrich Ehrlichers, dem Romanistikprofessor Hanno Ehrlicher, will er für Wikipedia einen Lexikonartikel für Thomas Max erarbeiten. Beistand erhalten sie von der Historikerin Veronika Diem, die über die Freiheitsaktion Bayern promovierte. Sie hat den Aufstand am 28. April 1945 untersucht, bei dem im südbayerischen Raum 57 Menschen ihr Leben verloren. Außer Max erschossen NS-Schergen von der Grünwalder Widerstandsgruppe den französischen Kriegsgefangenen Lucien Merlin.

Ostuferspaziergang Oskar Maria Graf in Berg

Die Berger Kunsthistorikerin und Journalistin Katja Sebald, seit Jahren auf den Spuren des Bayrischen Schriftstellers unterwegs, führte eine große Schar von Mitgliedern und Freunden zu prägenden Orten Oskar Maria Grafs in unserer Nachbargemeinde Berg. Ein besonderes „Schmankerl“ war es die in Berg geborene und aufgewachsene Zeitzeugin und Mitglied Frau Dr. Täubner dabei zu haben, die häufig Ergänzungen aus ihrer Erinnerung anfügen konnte. Einiges wollte sie noch mit ihrer Schwester, der Malerin Juschi Bannaski abstimmen.

Frau Sebald versammelte uns beim Oskar Maria Graf Stüberl um uns in die Lebensgeschichte Grafs einzustimmen. Fast alle hatten das Buch „Aus dem Leben meiner Mutter“ gelesen, jedoch vieles nicht mehr so parat. Von hier aus konnte Grafs Vater den wirtschaftlichen Durchbruch erzielen, Semmeln für König Ludwig II wurden in der Backstube gebacken. Wen wundert’s, dass die Hausmadonna eine Brezel hält? Von da ging`s zum Kramerfeicht, eine Bubenfreundschaft, die half über traurige Momente besser hinwegzukommen. Nach dem Tod des Vaters hatte der überforderte älteste Bruder Max eine strenge, gelegentlich auch gewalttätige Führung des Hauses Graf übernommen. Vom verdienten Geld als Bäcker konnte Graf Weltliteratur als Reklamausgabe lesen – Ursache für Ärger mit dem Bruder. Der Blick geht weit über den See und wir fühlten uns in die Seele des jugendlichen Oskars ein und ließen die Gedanken baumeln. Bunte Herbstblätter, ein Bankerl, da fliegen die Gedanken über die Villa von Miller in Niederpöcking bis in die Neue Welt. Kompromisslos war er, hat den Leuten die Meinung gesagt, sehr unüblich in einem Dorf. Und ein Kommunist war er. Deshalb hatten die Berger so ihre Schwierigkeiten mit dem berühmten Schriftsteller. Das Denkmal steht deshalb in Aufkirchen und die Straße in Berg heißt Grafstraße nach der Familie und nicht etwa Oskar Maria Graf Straße (der Bazi). Weiter gings in Richtung Schloss, wo Frau Sebald das ehemalige Schlosscafé ausfindig gemacht hatte, das von der Gemeinde später für Bedürftige unterhalten wurde. In jener Zeit wohnten alle, die es sich leisten konnten auf dem Höhenrücken, deshalb war Grund am Abhang leichter zu haben. Katja Sebald stützte ihre Erzählungen auf passende Textpassagen und an unserem Abschiedspunkt einer leuchtenden Wiese mit altem Baumbestand waren wir vollends in die Zeit Oskar Maria Grafs entrückt. Schön wars, Berg sehen wir jetzt mit ganz anderen Augen und suchen im Regal das fast 900 Seiten umfassende Werk um wieder zu lesen.

Ursula Scriba

Ostuferspaziergang des OSV nach Nantesbuch und Thankirchen

Einen strahlenden Herbsttag hatte der Ostuferschutzverband für seinen Besuch der Stiftung Nantesbuch. Ca. 80 Teilnehmer, darunter Gemeinde- und Kreisräte fanden sich ein, um von Herrn Prof. Florian Nagler, dem Architekten des Gutes Karpfsee, in dieses ungewöhnliche Bauwerk eingeführt zu werden.

Zur Idee: Die Unternehmerin Susanne Klatten als finanzstarke Schirmherrin und Ermöglicherin gründete 2012 die Stiftung Nantesbuch, erwarb das Gelände und die beiden ehemaligen Güter der Landeshauptstadt München Nantesbuch und Karpfsee bei Bad Heilbrunn. Ihr Gedanke war die Welten Kunst und Natur zusammen zu führen, Bewusstsein zu schärfen und zu erweitern. Ihre Kunstsammlung soll in Nantesbuch eine neue Heimat finden und Öffentlichkeit erhalten.Im Jahr 2010 ist Baubeginn.

Eingebettet sind diese Projekte in die großartige Alpenvorlandschaft des Tölzer Landes. Das 320 ha. große Gelände liegt südlich von München und ist Teil der 30 km langen Moorachse vom Kochelsee bis nach Deining. Hochmoore, Übergangsmoore und Niedermoore prägen die Landschaft. Pflege- und Renaturierungsmaßnahmen sind hier begonnen, unterstützt durch Ganzjahresbeweidung mit Auerochsen und Exmoor Ponys.

Mit Prof. Nagler wenden wir uns dem ersten vollendeten Gebäude Gut Karpfsee zu: „Das Lange Haus“, in Metern ausgedrückt 130. In dem auf einer Hügelkuppe gelegenen, langestreckten Gebäude sind Landwirtschaft, Kultur und Gäste zu Hause. Die Stiftung hat sich vorgenommen, über sorgsamen und verantwortungsvollen Umgang mit Natur und Landschaft, die Basis für alle baulichen Unternehmungen der Stiftung Nantesbuch zu bilden.

Florian Naglers Architektursprache ist die scheinbare Einfachheit – Einfachheit als Ergebnis intensiven Nachdenkens. Erster Schritt zur Beruhigung der Hofstelle war die Verlegung der öffentlichen Straße. Jetzt finden wir mit langem Haus, 1 Rentei, 1 Wohnhaus, beide saniert, das Energiehaus als Zentrum für das Energiekonzept des Hauptgebäudes, einem Bauerngarten und einem Wasserturm einen Hofraum vor. Von den Vorgängerbauten wurden jeweils die Erdgeschosse erhalten, der Zwischenraum geschlossen, Obergeschoß und Dach mit einer neuen Holzkonstruktion versehen Das rote Ziegeldachunterstreicht die Ruhe des Baukörpers in der Landschaft. Der Architekt äußert sich: „Dingen von Qualität und Charakter zu erhalten und nur dort einzugreifen, wo dies aus funktionalen, konstruktiven und räumlichen Gründen notwendig ist, war Leitidee unseres Entwurfes.“ Besonderheiten sind die großzügige Eingangshalle im Mittelteil, die Vollholzkonstruktion im Obergeschoß, die 15 m Baukörpertiefe stützenfrei überspannt, sowie die klare Entscheidung für wenige Materialien wie Mauerwerk, Holz (Fichte, Weißtanne), Beton geglättet, Metall – insbesondere für Raummöbel wie dem großen Kamin. Eindrucksvoll ein 9 m langer Esstisch aus massiver Esche für alle Gäste des Hauses – wir streifen durchs Haus und werden immer wieder fündig. Primusglas der Fenster im Obergeschoss sichern Blendfreiheit, Ein Erdsondenfeld im Sinne eines Wärmetauschers sichert Kühle z.B. im großen Seminarraum. Strom, Wärme und Kühle aus Holz und Sonne: Die Themen Natur und Nachhaltigkeit spielen beim Energiekonzept für das Lange Haus die zentrale Rolle. Die Stiftung Nantesbuch hatte hier zum Ziel, ein regeneratives Plusenergiegebäude mit 100 Prozent Stromautarkie zu schaffen.

Unter http://stiftung-nantesbuch.de finden Sie den Veranstaltungskalender, Renaturierungs- und Landschaftspflegemaßnahmen und den on-line Katalog der Kunstsammlung von Stifterin Frau Susanne Klatten.

 

Abschluss unserer Tour bildete der Besuch in Thankirchen zum Offenstall von Prof. Nagler für seinen Schwager. Vorgabe des Landwirts war, der Stall darf nicht mehr kosten wie ein industriell lieferbarer Stall. Deshalb entwickelte Prof. Nagler ein System, das auf die Ressourcen des Schwagers zugeschnitten war. Holz aus dem eigenen Wald und alles so dimensioniert, dass ein Laie den Stall mit der eigenen Motorsäge bearbeiten kann.

 

Es wäre schön in Münsing zukünftig neue Gebäude in dieser klaren, einfachen, regionalen Sprache zu sehen.

 

 

Ursula Scriba,

Lesung mit Verena von Kerssenbrock

am 21.03.2018 um 19:30 Uhr
im Schulhaus Holzhausen

Lesung mit der Regisseurin, Bühnenbildnerin, Schauspielerin
und Herausgeberin Verena von Kerssenbrock

 

Corneille und Colombo Max, die Malersöhne von Gabriel von Max, zu Hause in Ammerland und München werden in den Kriegsdienst einberufen.Paula, Colombos Frau, ist zu Hause mit Thommy dem Sohn. Im Nachgang der Münsinger Ausstellung Corneille und Colombo Max und ihrem mitreißenden Vortrag der Tagebuchnotizen des Paares vertiefte sich Urenkelin Verena von Kerssenbrock in Dokumente aus dem 1. Weltkrieg aus dem Nachlass im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg und der in der Familie verbliebenen Bestände. Sie lädt uns ein in die Lebenswirklichkeiten dieser uns aus Erzählungen, Bildern vertrauten Familie. Ihr Zuhause, die Villa Max erinnert uns heute noch an glückliche Jahre der kleinen Familie nach diesem für alle so schrecklichen Krieg.

Verena Kerssenbrock, eine Ur-Enkelin von Colombo Max, hat die Auswahl aus der Familien­korrespondenz zusammengestellt und einen Lebensbericht verfasst, der die Jahrgänge der Feldpost umrahmt.

Eine Veranstaltung der Kulturreferenten der Gemeinde Münsing
Prof. Dr. Matthias Richter-Turtur und Ursula Scriba mit dem Ostuferschutzverbandes e.V.