Architektur mit Aura

„Häuser erzählen Geschichten“

Von Benjamin Engel, Wolfratshauser SZ, 29. November 2018

Münsing – „Oberambach hatte immer eine besondere Aura“, sagt die Künstlerin Ulrike Weihe, als sie im Café des heutigen Bio-Hotels bei Holzhausen sitzt. Früher war das der Salon ihres Großonkels Eberhard von Kleydorff, der dort bis zu seinem Tod 1987 lebte. Im Raum an der Südseite des Hauses hoch über dem Starnberger See kann sich die 73-jährige Künstlerin noch genau an den Elsässer Schrank und den großen Eichentisch erinnern. Daran saß etwa der marokkanische König, um über politische Fragen zu diskutieren. Genauso lud der Baron Künstler in sein Haus, auch aus dem Kreis des „Blauen Reiter“, wie Wassily Kandinsky. Eberhard von Kleydorff hatte selbst Malerei an der Berliner Akademie studiert und war an neuen kulturellen Ideen interessiert.

Dass der intellektuelle Gedankenaustausch gerade in Oberambach so gepflegt wurde, hängt für Weihe auch mit der Architektur zusammen. Das an das Anwesen angebaute Herrenhaus sei nach den Prinzipien der Geomantie errichtet worden. Diese Lehre soll helfen, den energetisch idealen Platz für ein Haus zu finden. Weihe erklärt, das Gebäude sei so ausgerichtet, dass immer Sonnenlicht in die Innenräume falle. So sei ein geistig anregender Ort der Harmonie zwischen den Menschen entstanden.
Im Jahr 1907 hatte der Karlsruher Oberstleutnant Hans Ebers den Tutzinger Baumeister Xaver Knittl mit den Arbeiten beauftragt. Dessen Familie hatte in der Prinzregentenzeit eines der größten Baugeschäfte in der Region. Vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte Knittl mehr als 350 Mitarbeiter. Er realisierte mehr als 250 Bauprojekte, darunter allein auf Münsinger Flur das Schlossgut in Oberambach, das Seeheim oder das inzwischen abgerissene Ammerlander Gasthaus Hubertus. Zum Markenzeichen seiner Villen und Landhäuser entwickelte er den „Knittl-Stil“ mit aufwendigem Zierfachwerk.

Als Nachfahrin Stefanie Knittl 2012 den denkmalgeschützten Stammsitz der Familie sanierte, begann sie, die 115-jährige Unternehmensgeschichte zu erforschen und veröffentlichte darüber ein Buch. Im Alten Schulhaus in Holzhausen wird sie ihre Publikation an diesem Freitag vorstellen. Der Ostuferschutzverband hat die Autorin eingeladen. Knittl sagt, sie wolle das Wissen um den Wert der historischen Villenkultur am Starnberger See der Öffentlichkeit wieder bewusst machen. Es mache sie traurig, wie viele der schönen alten Häuser schon verschwunden seien, sagt sie. Deshalb setzt sie sich für den Erhalt dieser besonderen Architektur ein.

In Oberambach freut sich Weihe, dass die Hoteliersfamilie Schwabe die ursprüngliche Bausubstanz nahezu unverändert erhalten hat. Die Einbauten und das Parkett im Salon sind original. Und noch immer faszinieren sie die Führung der Wendeltreppe oder die Stuckornamente an der Decke genauso wie vor Jahrzehnten. Zwischen 1978 und 1986 hatte sie selbst gemeinsam mit ihrem Großonkel in Oberambach gewohnt. Damals existierte noch die alte Bibliothek mit Originalausgaben von Dante, Novalis oder Goethe. Mit ihrem Großonkel diskutierte Weihe über Literatur und Musik, organisierte jeden Herbst selbst kulturelle Veranstaltungen im Haus.

In den Familienbesitz kam es 1919. Damals hatte der Düsseldorfer Generalkonsul Otto Heye das Gut seiner Tochter Angelika zur Existenzgründung gekauft. Sie war mit Baron von Kleydorff verheiratet.

Weihe sagt, ohne die besondere Energie in Oberambach hätte sie ihren künstlerischen Weg kaum gehen können. Sie studierte Grafikdesign und Malerei an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf. Unter anderem war sie Schülerin bei Joseph Beuys. In ihrem Werk hat sich die heutige Starnbergerin damit beschäftigt, Klang und Bild zu verbinden – und das etwa mit Mitteln des Films umgesetzt. An die Zeit in Oberambach, mit Kutschfahrten durch die verschneite Winterlandschaft, denkt Weihe gerne zurück. „Hier war so eine Lebendigkeit“, sagt sie.

Lesung von Stefanie Knittl aus dem Buch „Häuser erzählen Geschichten“: Freitag, 30. November, 19 Uhr, Altes Schulhaus Holzhausen, organisiert vom Ostuferschutzverband