Breite Ablehnung und ein paar Buh-Rufe

Im Streit um das geplante Seniorenwohnstift in Ambach will Bürgermeister Michael Grasl einen Kompromiss finden. Bei der außerordentlichen Bürgerversammlung am Montagabend wurde deutlich, dass die Münsinger die Entwürfe mit 80 Wohnungen und vierstöckigen Gebäuden ablehnen.
 

Bürgerversammlung zum geplanten Seniorenwohnstift in Ambach

von Tanja Lühr, Isar Loisachbote vom 26.04.2017

Münsing – Den größten Applaus während der vierstündigen Diskussion im Gemeindesaal erhielt Dr. Gustav Neumeister vom Ostuferschutzverband (OSV). Er forderte Bürgermeister Michael Grasl auf, sich vom Investor „Kuratorium Wohnen im Alter“ (KWA) eine Wirtschaftlichkeitsberechnung vorlegen zu lassen. Neumeister: „Wenn KWA wirklich nur mit 80 Wohnungen rentabel bauen kann, ist Ambach der falsche Standort dafür.“ Der KWA-Vorstandsvorsitzende Dr. Stefan Arend hatte zuvor erklärt, nur bei dieser Anzahl würde sich die Investition in die Gemeinschaftseinrichtungen wie Restaurant, Schwimmbad und Versammlungsräume, die man auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen wolle, lohnen.

Die Mehrheit der rund 150 Besucher lehnt eine Seniorenwohnanlage auf dem ehemaligen Wiedemann-Klinikgelände nicht generell ab, wie aus den Wortmeldungen hervorging. Der CSU-Ortsvorsitzende Martin Ehrenhuber sieht das Projekt des gemeinnützigen Unternehmens KWA als „riesige Chance für Münsing“, zumal eine angeschlossene Tagespflege und ein ambulanter Pflegedienst dringend benötigt würden. Allein am Ausmaß, das ein Testentwurf von Städteplaner Christian Weigl vorsieht, stören sich die Ambacher wie auch viele andere Gemeindebürger.

Sebastian Wiedemann, Sprecher der „Initiative Ambach“ und sein Onkel Dieter Wiedemann, direkter Nachbar des zirka 13 000 Quadratmeter großen Grundstücks, nannten eine Zahl von 55 bis 60 Apartments verträglich. Es handle sich um das „größte Bauvorhaben in der Geschichte der Gemeinde“, gab Sebastian Wiedemann zu bedenken. Deshalb müsse man „genau hinsehen“. Der Architekt kritisierte die Höhe der Gebäude mit bis zu vier Stockwerken (an Stelle des ehemaligen „Panoramahauses“), die „Riegelwirkung“ des Komplexes, die keine Durchblicke erlaube sowie die seiner Ansicht nach unvermeidliche Fällung alter Bäume.

Christian Weigl relativierte die Angaben seines Testentwurfs. Die Quadratmeterzahlen seien nicht endgültig. Die Gemeinde habe es in der Hand vorzugeben, dass die neue Anlage kleiner als der Bestand werde und dass Bäume geschützt würden. Der Vorschlag Wiedemanns, das Haus „Waldschlössl“ aus dem alten Ensemble zu erhalten oder zu rekonstruieren, sei gut. Das „Panoramahaus“ würde Weigl hingegen lieber abreißen. Ein Umbau eines 60er-Jahre-Gebäudes sei teurer als ein Neubau. Außerdem würde man Nordwohnungen erhalten, die keiner wolle.

Seinen Auftritt hatte der in Ambach lebende Schauspieler, Schriftsteller und „Fischmeister“-Wirt Josef Bierbichler. Er trat mit Manuskript ans Podium und schimpfte eloquent auf KWA. Die Grundstückskäufer seien „Heuschrecken“, die zu erwartende Ankunft von 150 Neubürgern gleiche einer „feindlichen Übernahme“ Ambachs. Wenn auf dem Areal schon unbedingt gebaut werden müsse, dann lieber ein Einheimischenmodell. Buh-Rufe erntete Bierbichler für die markigen Worte, wenig Mitleid für die Aussage, von seiner 3000-Euro-Rente könnte er sich nur die kleinste Wohnungskategorie in einem KWA-Wohnstift leisten.

Auf Kooperation setzen die Gemeinderäte Helge Strauß und Ursula Scriba, letztere gleichzeitig OSV-Vorsitzende. Sie fordern nach wie vor einen Architektenwettbewerb. Er war wie berichtet mehrheitlich vom Gemeinderat abgelehnt worden. Der Münsinger Peter Hacker äußerte die Befürchtung, ein Architektenwettbewerb wäre von den Formalitäten her zu aufwändig. Er sprach sich stattdessen für einen Ideenwettbewerb aus. Dr. Stefan Arend versicherte, KWA sei zu beidem bereit. Die Kosten würde das Unternehmen tragen.

Bürgermeister Michael Grasl wäre an einer „Annäherung“ sehr gelegen, wie er betonte. „Die Gemeinde weiß jetzt, was die Bevölkerung will und wird entsprechend die weiteren Schritte abwägen.“ Grasl zeigte sich offen für einen Wettbewerb, erklärte aber gleichzeitig, auch Städteplaner Weigl könnte einen Alternativentwurf vorlegen. Die Gemeinde wolle „keinen Schnellschuss“ abgeben. Irgendwann müsse sie jedoch ins Bauverfahren einsteigen.

KWA versucht, Vorurteile auszuräumen

Zum ersten Mal stellte sich das in Unterhaching ansässige „Kuratorium Wohnen im Alter“ (KWA) bei der Bürgerversammlung der Öffentlichkeit vor. Die Vorstandsvorsitzenden Horst Schmieder und Dr. Stefan Arend versuchten dabei vor allem, Vorurteile auszuräumen. Das gemeinnützige Sozialunternehmen betreut in seinen bundesweit 16 Wohn- und Pflegestiften rund 3000 Menschen. Im Jahr 2015 habe man rund 119 Millionen Euro Umsatz gemacht, man verzeichne ein Wachstum von 1,5 bis 2,5 Prozent pro Jahr. Die Wohnungen seien zu 93 Prozent belegt. Beschäftigt seien 2400 Mitarbeiter, davon 115 Auszubildende.

Bei KWA habe es in den 50 Jahren seit der Gründung noch nie einen Pflegeskandal gegeben, noch nie sei ein Standort aufgegeben worden. Das Durchschnittsalter der Bewohner liegt laut Arend bei 86 Jahren, das durchschnittliche Einzugsalter bei 83 Jahren. 77 Prozent der Bewohner seien weiblich, der Großteil alleinstehend. Nur sechs Prozent würden mit Partner leben. Bei den geplanten 80 Wohnungen in Ambach sei daher mit maximal 90 bis 95 Bewohnern zu rechnen.

KWA bietet Mietwohnungen mit Zusatzleistungen vom Mittagessen bis zur Pflege an. 37 Prozent der Bewohner würden aktuell Pflege benötigen. Ein Ein-Zimmer-Apartment koste zwischen 1700 und 2500 Euro monatlich. In drei Einrichtungen in München würden Sonderkonditionen für sozial Schwache gewährt. Ein Großteil der Bewohner stamme aus der jeweiligen Region. Im Rupertihof in Rottach-Egern würden 41 Prozent aus dem Ort und dem Tegernseer Tal kommen. In Münsing plant KWA zusätzlich eine Tagespflege für etwa zehn Personen und einen ambulanten Pflegedienst. Restaurant und Veranstaltungsräume sollen der Bevölkerung offen stehen, das Schwimmbad soll von Vereinen genutzt werden können.  tal

Zitate aus der Bürgerversammlung

„Die neu gebaute Anlage muss kleiner als der Bestand werden. Das fordern wir als Gemeinde. Die Entscheidungs- und Planungshoheit liegt ganz klar beim Gemeinderat.“
Bürgermeister Michael Grasl (Freie Wähler)

„Unsere Bewohner schätzen an den KWA-Wohnstiften, dass sie dort individuell in ihren eigenen vier Wänden leben und gleichzeitig je nach Wunsch die Gemeinschaft genießen können“
Lisa Brandl-Thür, Einrichtungsleiterin im Rupertihof in Rottach-Egern

„Wir müssen uns vorkommen wie Hanswurste, wenn jetzt der Gemeinderat und der selbe Architekt, der den Rahmenplan für das Seeufer gemacht hat, so ein Projekt befürworten. Der Rahmenplan wird damit auf eine pure Willensbekundung reduziert.“
Josef Bierbichler, Schauspieler aus Ambach

„Wenn die Gemeinde auf dem Klinikgelände wieder eine Bebauung möchte, dann orientiert am Rahmenplan. Es besteht keine Notwendigkeit, alte Bausünden durch neue zu ersetzen.“
Dr. Gustav Neumeister, Anwalt aus Ambach und Mitglied des Ostuferschutzverbands

„Ich fordere einen Wettbewerb. Das haben wir den Ambachern versprochen.“
Gemeinderat Helge Strauß (CSU)

„Ich habe das Gefühl, dass die Gemeinde das Projekt in dieser Größe durchpeitschen will. Mit 60 Wohnungen könnte KWA leben, die Gemeinde könnte es mit gutem Gewissen vertreten, und die Ambacher wären zufrieden.“
Dieter Wiedemann aus Ambach

„Kein Mensch kann auf diesem Grundstück 80 Wohnungen vernünftig realisieren“
Sebastian Wiedemann, Sprecher der Initiative Ambach