Modell Seniorenstift in Ambach

Rat nimmt Bürgerbegehren an

Nach Neuvermessung: Seniorenwohnstift wird nicht größer als die alte Klinik

VON VOLKER UFERTINGER

Münsing – Das erste Bürgerbegehren in der Geschichte der Gemeinde hat einen überraschenden Ausgang genommen: Der Gemeinderat hat sich in der Sondersitzung am Dienstag den Forderungen der Initiatoren angeschlossen. Einstimmig wurde der Beschluss gefasst, dass das geplante Seniorenwohnstift Ambach nicht mehr Fläche verbrauchen darf als die alte Wiedemann-Klinik.

Das fiel dem Gemeinderat relativ leicht. Denn: Eine Neuvermessung hat ergeben, dass das einstige Sanatorium, in dem in den 1960er Jahren die Reichen und Schönen ein- und ausgingen, klar größer war als im Bürgerbegehren behauptet, nämlich 5060 und nicht 3918 Quadratmeter. Die Obergrenze für das neue Sanatorium liegt bei 4785 Quadratmetern. „Wir haben ja gemeinsame Ziele“, erklärte Michael Grasl. „Wir wollten immer, dass sich der Neubau in den Fußabdruck der ehemaligen Klinik einfügt.“ Ein Bürgerentscheid ist damit hinfällig.

Planer Christian Weigl, der das Seniorenwohnstift städtebaulich begleitet, erläuterte, wie die Gemeinde vorgegangen ist. „Es war das Ehrlichste, den Bestand neu zu vermessen.“ Der Aufwand in den vergangenen Wochen war immens, das mittlerweile überwucherte Gelände musste teils freigelegt werden. Auch die Berechnung der Flächen gestaltete sich wegen der Hanglage komplex. „Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet“, versicherte der Experte den Gemeinderäten und den etwa 30 Zuhörern. Ergebnis: Die bebaute Grundfläche der ehemaligen Wiedemann-Klinik beträgt 5060 Quadratmeter – deutlich mehr, als was dem neuen Bauherrn „Kuratorium Wohnen im Alter“ zugestanden wird.

Welche Schlüsse waren aus diesem überraschenden Befund zu ziehen? Der Anwalt der Gemeinde, Gerhard Spieß, brachte zwei Alternativen ins Spiel: Entweder das Bürgerbegehren als unzulässig abzulehnen, weil es inhaltlich von falschen Voraussetzungen ausgeht. Oder es dem Gemeinderat zum Beschluss vorzulegen. Dazu riet Rathauschef Grasl nachdrücklich. „Eine Ablehnung wäre nicht unser Verständnis von Bürgerbeteiligung.“

Widerworte kamen lediglich von Prof. Matthias Richter-Turtur (Grüne). Er sprach von „erstaunlichen Rechenkünsten“ und zog die erste Auslegung in Zweifel. „Die ist doch dann Makulatur.“ Weigl verneinte: „Die Zahlen in der Auslegung waren richtig.“ Spieß ergänzte: „Die einzig richtige Zahl im Bürgerbegehren stammt aus der Auslegung.“ Zwei andere Gemeinderäte brachten schlicht ihre Erleichterung zum Ausdruck. Thomas Schurz (CSU) erklärte: „Endlich ist in Stein gemeißelt, dass wir keinen falschen Grundsatzbeschluss gefasst haben.“ Und Stefan Holzheu (Wählergruppe Holzhausen) fügte hinzu: „Ich als Ambacher bin froh zu sehen, dass das Neue nicht größer wird als das Alte.“ Sonst gab es keine Wortmeldungen. Das Ergebnis war eindeutig: 14:0 Stimmen, drei Gemeinderäte – Josef Strobl, Helge Strauss und Bernhard Ruhdorfer – fehlten entschuldigt.

Anatol Regnier, Initiator des Bürgerbegehrens, war über den Verlauf des Abends verwundert. „Die Zahl, die wir im Bürgerbegehren genannt haben, ist doch von der Gemeinde selbst immer genannt worden.“ Im Moment ist er ratlos, ob und wie es weitergeht. Fest steht nur: „Ich werde jetzt sicher nicht mit dem Zollstock losziehen und nachmessen.“

Bürgermeister Michael Grasl weist die Behauptung von sich, die Zahl von 3918 Quadratmetern für die Wiedemann-Klinik je kommuniziert zu haben. „Das wüsste ich. Auch kein Mitarbeiter konnte sie verifizieren.“ Wichtig sei ihm immer nur gewesen, „im Bestand zu bleiben“. Derzeit befindet man sich in der zweiten Auslegung, die Behandlung der Einwände ist für Anfang 2022 geplant. Wann gebaut wird? Höchst ungewiss.#

KOMMENTAR
Geschickter Schachzug
VOLKER UFERTINGER

Es war geschickt, wie die Gemeinde Münsing mit dem Bürgerbegehren umgegangen ist. Das Areal neu auszumessen, zeigte den Kritikern: Wir nehmen Euch ernst. Den Inhalt zu übernehmen, demonstrierte ihnen: Wir haben gemeinsame Ziele. Die positiven Nebeneffekte: Die Meuterer haben keine Handhabe mehr. Und, genau so wichtig: Es wird nicht noch mehr Zeit verloren.

Tatsächlich, es ist viel Zeit vergangen, seit fünf Jahren wird über das Seniorenwohnstift diskutiert. Über all den Bedenken könnte man fast vergessen, dass es objektiv ein Glücksfall ist: Es hat sich ein seriöser Träger gefunden, der in einer älter werdenden Gesellschaft einen dringenden Bedarf deckt. Die Ruinen verschwinden, ein preisgekrönter Architekt baut. Was will man mehr?

Donnerstag, 04. November 2021, Isar-Loisachbote / Lokalteil