Gabriel-von-Max-Denkmalpreis 2015
Begründung der Jury für die Preisvergabe: Dr. Kaija Voss
Der zweite Gabriel-von-Max-Denkmalpreis ist im Februar 2015 von der Jury, bestehend aus Maria Mannes (Kreisheimatpflegerin), Martin Wölzmüller (Geschäftsführer des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege) und Dr. Kaija Voss (Architekturhistorikerin) vergeben worden. Insgesamt standen acht Bauwerke zur Auswahl. Einige der Kriterien, die für die Preisvergabe ausschlaggebend waren, seien an dieser Stelle genannt: Authentizität, Denkmalwürdigkeit, Vorbildwirkung im Umgang mit einer bestimmten Gebäudekategorie, praktische Umsetzung des Denkmalgedankens auch im Detail, hohe Qualität der baulichen und instand haltenden Maßnahmen, weitgehende Abwesenheit gestalterischer Missstände. Ziemlich bald zeichnete sich unter den Preisrichtern große Einigkeit ab: Wohnhaus und Schreinerei Josef Wagner an der Südlichen Seestraße in Ammerland.
Das Haus steht aktuell nicht unter Denkmalschutz, was aber kein Hindernis darstellt, heißt es doch in den Vergaberichtlinien: „Bei den Bau- und Gartendenkmälern soll es sich um solche historischen Anlagen handeln, die für das herkömmliche Orts- und Landschaftsbild des Ostufers von Bedeutung sind und deren Erhaltung daher im Allgemeininteresse liegt. Nicht erforderlich ist jedoch, dass die Anlagen in der amtlichen Denkmalliste geführt werden.“
1871, im Jahr der Deutschen Reichsgründung – und 5 Jahre früher als die nur wenige Meter entfernt liegende Gabriel-von-Max-Villa wurde das Haus Wagner von Adam Wagner, dem Urgroßvater von Josef Wagner erbaut. Ein Vorgängerhaus, etwas weiter südlich, war dem Bau voraus gegangen. Adam Wagner verkaufte es und baute neu, auf einem Grundstück, das er 1868 vom Kunstmaler Wilhelm Hauschild erwarb. Bereits am 3. Mai 1864 hatte das Königlich Bayerische Bezirksamt Adam Wagner die „Concession“, einen Schreinerbetrieb zu gründen, erteilt.
Das eigene Haus am Seeufer, das zunächst in erster Linie Schreinerei mit Wohnfunktion – und nicht Wohnhaus mit angrenzender Schreinerei war, wurde mit Vollziegeln im „Reichsziegelformat“, das damals hochmodern war, erbaut. 1872 wurde das Reichsformat in Deutschland für die Anwendung in staatlichen Bauten zum Gesetz. Für Privatbauten war es einfach wirtschaftlicher, normierte Ziegel der Größe 25 cm × 12 cm × 6,5 cm zu verwenden.
Durch Holzverkleidungen und Laubsägearbeiten, Balkon und Fensterläden erhielt der Bau einen ganz anderen Charakter, als es der normierte „Reichsvollziegel“ ahnen lässt. Die Holzarbeiten, an Balkon und Giebel, die filigran gestalteten „Pfettenbrettl“, erinnern sowohl an oberbayerische Bauernhäuser, als auch an den Typus des so genannten „Schweizerhauses“. In der Zeit der Romantik im 19. Jahrhundert waren „Schweizerhäuser“ in europäischen Landschaftsgärten Mode und illustrierten das romantische Ideal von Naturverbundenheit.
Die Schweiz, mit Bergwelt und Eidgenossenschaft stand als Symbol für eine „heile Welt“, für eine nicht-industrialisierte Welt. Die ersten Touristen in den Alpen feiern die mit Schnitzereien versehenen Holzhäuser als Zeichen naturverbundenen Bauens und Lebens. Die Architektur in Kurorten, Bädern und Gartenreichen spielte bald mit „heimatverbundenen“ gestalterischen Elementen. Am Starnberger See gab es in den 1860-er Jahren einen Bauboom, betuchte Beamte oder Industrielle ließen sich am See Sommervillen errichten. Die Sehnsucht nach einer vorindustriellen Welt, die Erinnerungen an Reisen in „heile“ Regionen manifestierte sich zu einer Mode, die viele prominente Beispiele hervorbrachte. Eines davon ist das „Casino“, die kleine Inselvilla auf der nahe gelegenen Roseninsel im Starnberger See. Erbaut wurde es ab 1851 durch Franz Joseph Kreuter, fertig gestellt 1853 durch Eduard Riedel. Als Synthese aus der ländlichen oberitalienischen Villa und dem „national-bayerischen“ Gebirgshaus avanciert das „Casino“ zum Prototyp einer Landhausvilla am Starnberger See. Viele Jahre später erst, von 1900–1910, entsteht die Marktstraße in Bad Tölz von Gabriel von Seidl. In vielen seiner Bauten und auch in den Werken seines Bruders Emanuel von Seidl finden sich typische Stilelemente einer „heilen“ vorindustriellen Welt.
Josef Wagner und seine Frau Regina Wagner haben ihr Haus zusammen mit ihren Eltern bzw. Schwiegereltern bewohnt und gemeinsam mit ihren 3 Kindern – den Töchtern Elisabeth und Christine und dem Sohn Josef, der auch ausgebildeter Schreiner ist. Bis vor ca. 20 Jahren kamen jedes Jahr auch noch „Sommerfrischler“ dazu, die Eltern hatten sich im Sommer über der Werkstatt eingerichtet. Haus und Werkstatt haben Umbauten, Reparaturen und funktionelle Neuorganisationen durchlebt: für die saisonalen Vermietungen musste Platz geschaffen werden, die alten Eltern wurden gepflegt, die Kinder brauchten Kinderzimmer, später Jugendzimmer.
Josef Wagner ist Perfektionist. Qualität hat Vorrang vor Quantität, die Tradition nimmt in seinem Werk einen großen Platz ein. Trotzdem ist er und waren auch seine Vorfahren Neuem durchaus zugewandt, sein Großvater Sebastian Wagner schaffte eine Dampfmaschine an und bereits im Jahre 1900 gehörte die Schreinerei mit zu den ersten Häusern in Ammerland an das Stromnetz angeschlossen waren.
Sein Vater, auch ein Josef Wagner, sagte zu ihm: „Schau mal, wie die das damals gemacht haben“ und begeisterte so seinen Sohn für alte Handwerkstechniken. „Neues schaffen – Altes Bewahren“ so steht es aktuell auf der Homepage der Schreinerei und das ist für einen kreativen Schreiner ein gutes und richtiges Programm.
„Man kann nicht alles aufhalten“, sagt Josef Wagner, aber „Man muss immer alles pflegen“ – für die Fassade mit den beiden Giebelmedaillons suchte er nach der historischen Farbgebung, probierte verschiedene Varianten aus. Dunkelgrün für die Fensterläden, lichte Ockertöne, helles Grau für Balkon und Giebel. Die Medaillons sind künstlerisch hochwertige Arbeiten, sie wurden den Wagners in den dreißiger Jahren von Nachbarn geschenkt und danach in die Fassade integriert. Auch im Inneren des Hauses richtet sich das Augenmerk auf alte Handwerkstechniken, zum Beispiel für die Holzverkleidung der Wohnstube. Wieder war es Großvater Sebastian Wagner, der um 1900 die braun-grüne Holzvertäfelung gestaltete. Nachdem diese kaputt war, hat Josef Wagner das historische Bild liebevoll restauriert – unter anderem mit Hilfe eines Kammes. Ästhetisches Verständnis, gepaart mit handwerklichem Sachverstand, Geduld und die Liebe und Freude am Detail.
Vom baulichen Bestand her wäre es daher folgerichtig und wichtig, wenn das Haus an der Südlichen Seestraße als Denkmal geführt werden würde – dazu kommt, dass die Familie Wagner selbst sehr denkmalbewusst lebt und handelt.
Das Haus Wagner an der Südlichen Seestraße ist gewissermaßen ein Idealbild von einem Haus, ein ästhetisch-gestalterischer Ruhepunkt, in einer Welt, die tagtäglich auch im Kleinen, im Detail verschandelt wird. Durch falsch dimensionierte Häuser, riesige Carports, unproportionierte Fenster, gefühllos gestaltete Fassaden. Der große Architekt Ludwig Mies van der Rohe – und er war wahrlich kein Denkmalpfleger, aber ein Mann der Tradition und der Moderne – sagte einst sinngemäß: „Nicht der Teufel steckt im Detail, Gott steckt in den Details!“ Und diesen Satz kann man für das preisgekrönte Haus sowohl nachprüfen, als auch einfach gelten lassen und an anderer Stelle selbst beherzigen.