WIEDEMANN-KLINIK – Zahl aus dem Bürgerbegehren stammt von der Homepage der Gemeinde
VON VOLKER UFERTINGER
Münsing – Es war eigentlich zu erwarten: Im Nachgang der Sondersitzung zum geplanten Seniorenwohnstift in Ambach gibt es Debatten um die Zahl 3918. So viele Quadratmeter hatte angeblich die alten Wiedemann-Klinik umfasst, und größer – so die zentrale Forderung – sollte der Neubau nicht werden. Diese Zahl aber sei ihm nicht bekannt und auch nicht belastbar, konterte Bürgermeister Michael Grasl in der Sitzung. Stattdessen hatte er eine Neuvermessung des Areals veranlasst, und die ergab 5060 Quadratmeter. Diese Zahl übernahm der Gemeinderat einstimmig. Sie beziffert fortan das Maximum an Fläche für das Seniorenwohnstift. Salopp formuliert: Das Bürgerbegehren war ins Leere gelaufen.
Das kann und will der Ambacher Autor und Sänger Anatol Regnier so nicht stehen lassen. Er und seine Mitstreiter hatten im Lauf der vergangenen Wochen 431 Unterschriften gesammelt, keineswegs nur im Ambach, sondern in der ganzen Gemeinde. Er sieht sich nun dem Verdacht ausgesetzt, die Bürger mit unlauteren Mitteln zur Unterschrift bewegt zu haben. „Dass wir mit Fantasiezahlen operiert haben sollen, ist ein schwerwiegender Vorwurf“, schreibt er in einem offenen Brief an den Bürgermeister.
Darin macht er deutlich, dass die Zahl von der Gemeinde selbst kommuniziert worden sei – und zwar auf der eigenen Homepage. Sie geht zurück auf einen Plan des Architekturbüros Matteo Thun & Partners vom 23. März 2021. Dort heißt es: „Grundfläche – bestehend 3917,96 Quadratmeter, Grundfläche – Neubau 4687,20 Quadratmeter.“ Daher seine: „Können Sie uns zu Ihrer Aussage eine Erklärung abgeben?“
Bürgermeister Michael Grasl ist zerknirscht. „Dass die Zahl in den Verlautbarungen der Gemeinde und in den amtlichen Unterlagen der Auslegung verwendet wurde, räume ich ein und bedaure ich auch“, teilt er mit. Derzeit wird geprüft, wie die – faktisch falsche – Zahl dorthin gelangen konnte. Sobald dies feststeht, werden der Gemeinderat und die Öffentlichkeit informiert. „Wir werden niemanden im Unklaren lassen.“
Allerdings relativiert der Rathauschef die Relevanz dieser Zahl und weist darauf hin, dass sie keinerlei rechtliche Bedeutung besitzt. Die 3918 wird weder in der Satzung noch in der Planzeichnung genannt. Sie ist, wie von Regnier richtigerweise moniert, auf einer Skizze des italienischen Architekturbüros zu finden, wo sie eigentlich nichts verloren hat. „Hätte das federführende Büro Goergens die Zahl bemerkt, hätte es „natürlich interveniert“, so Grasl. Eine Anfrage bei Matteo Thun, wie sie zu der Zahl gekommen sind, laufe. „Es ist stark zu vermuten, dass dort die berühmten Äpfel mit Birnen verglichen worden sind.“
Doch wie dem auch sei: Jetzt liegt das Ergebnis einer genauen, objektiven Vermessung vor, und das heißt für Grasl: „Die Zahl ist sowieso obsolet.“ Fest steht, dass der Streit um die verflixte 3918 keine Auswirkung auf Planzeichnung und Satzungstext haben wird. Gleiches gilt für das Bürgerbegehren, das der Rathauschef als „erledigt“ betrachtet. „Das Projekt muss und wird sich nun zwingend dem Bestand unterordnen. Auch das ist ja ein gutes und allseitig gewolltes Ergebnis.“
Eine Freude für Till Eulenspiegel
„Rat nimmt Bügerbegehren an“ vom 4. November
Till Eulenspiegel hätte seine Freude gehabt. Das Bürgerbegehren „Seniorenanlage in Ambach kleiner planen!“ wurde vom Gemeinderat angenommen. Allerdings mit einem Schönheitsfehler: Bis heute wird auf der Homepage der Gemeinde offiziell der Altbestand der Kur-Klinik mit 3917,96 Quadratmetern benannt.
Auf wundersame Weise kommt der Architekt, der gleichzeitig die Gemeinde und den Investor KWA berät, nun auf 5060 Quadratmeter. Das ist um ein Drittel mehr. Folgt man diesem Rechenkunststück wörtlich, so ergibt sich als Ergebnis des Bürgerbegehrens, dass der Vorhabenträger sogar noch mehr bauen dürfte, als bisher geplant. Das Ergebnis des Bürgerbegehrens „…kleiner planen…“ wurde damit schlichtweg in das Gegenteil verkehrt.
Ob dieser „geschickte Schachzug“ dem Schutz des Ostufers dienlich sein wird und die Stimmung der begehrenden Bürger heben wird, wage ich zu bezweifeln. Nicht ohne Grund hat Till Eulenspiegel nach seinen Heldentaten stets das Weite gesucht.
Johannes Auffarth, Ambach
Samstag, 06. November 2021, Isar-Loisachbote / Lokalteil