Promi-Krankenakten liegen in verlassener Klinik herum

Münchner Merkur, Isar-Loisachbote vom 30. Juni 2016
von Tanja Lühr und Sebastian Dorn

Münsing – Prominente ließen sich jahrzehntelang in der ehemaligen Wiedemann-Klinik am Starnberger See kurieren. Ihre Patientenakten, Röntgenbilder und Befunde liegen noch immer im Gebäude – für jeden frei zugänglich.

+++ UPDATE, 30.06.2016, 20.30 Uhr +++ Inzwischen ist die Wiedemann-Klinik ein Fall für den Staatsanwalt: Wie der Isar-Loisachbote erfuhr, wird wegen der Krankenakten, die offen einsehbar in der „Geisterklinik“ herumliegen, ermittelt.

Promi-Krankenakten liegen in verlassener Klinik herum

Als Prof. Brinkmann trat der Schauspieler Klausjürgen Wussow in der „Schwarzwald-Klinik“ auf.

Auch der Arzt muss mal zum Arzt. In der ZDF-Fernsehserie „Die Schwarzwald-Klinik“ behandelte der Schauspieler Klausjürgen Wussow als Professor Klaus Brinkmann in den 1980er-Jahren und ließ die Herzen seiner Fans höher schlagen. Zeitweise saßen pro Episode 28 Millionen Zuschauer vor dem Fernseher und verfolgten die Geschichten um den charmanten, dunkelhaarigen Mann. Privat ließ sich Wussow, der am 19. Juni 2007 bei Berlin gestorben ist, in der Wiedemann-Klinik am Ostufer des Starnberger Sees in Ambach bei Münsing (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen) behandeln. Wussows Akte und die Unterlagen vieler anderer prominenter Patienten liegen noch heute in der Klinik. Sie ist zwar seit über zehn Jahren geschlossen und das Haus soll abgerissen werden. Momentan sind die Räume aber jedermann zugänglich, und damit auch die Unterlagen. Ein Datenschutz-Skandal.

Die Röntgenbilder von Wussow

Auch Wussows Patientenakte liegt frei zugänglich herum.

Der frühere österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky, Modedesigner Rudolph Moshammer und die Schauspieler Heinz Rühmann, Harald Juhnke, Inge Meysel und Heidi Kabel: Sie alle kamen für die Kuren von Klinikgründer Dr. Fritz Wiedemann an den Starnberger See. Er behandelte seit 1956 mit Vitaminen, Homöopathie, Akupunktur und Ozontherapie. Darauf weisen Plakate hin, die noch immer in dem verlassenen Gebäude hängen. Es wirkt wie eine Geisterklinik: Im Garten wuchern Bäume und Sträucher, Scheiben des Hauses sind eingeschlagen. Im Keller stehen noch Computer und der Röntgenapparat, auf dem Knochenteile eines Lehr-Skeletts liegen. Und in Schränken und auf dem Boden liegen Rezepte, Befunde und Röntgenbilder sowie Unterlagen des Betriebsrats zu Tarifverhandlungen, Weihnachtsgeld und Bewerbungen.

Der große braune Umschlag von Klausjürgen Wussow liegt neben dem Röntgenapparat. Sein Geburtsdatum steht auf einem weißen Aufkleber, 30. April 1929. Genau wie das Datum der Röntgenaufnahme: 23. Oktober 1987. Das ist auf Bildern zu sehen, die unserer Zeitung aus dem Inneren der ehemaligen Klinik zugespielt wurden. Die Aufnahmen sind in dieser Woche entstanden.

Der Fotograf besucht verlassene Orte

Inge Meysel ließ sich hier behandeln.

Der Fotograf besucht in seiner Freizeit so genannte „lost places“, auf Deutsch „verlassene Orte“, und macht Bilder. „Ich wollte erst nur den verwilderten Garten fotografieren, weil mich fasziniert, wie die Natur sich ihren Raum zurückerobert“, sagt der Mann, der anonym bleiben möchte. Dann sei ihm eine offene Tür aufgefallen. „Nach Ambach sind Promis mit Alkoholproblemen gekommen. Was, wenn die Akten in falsche Hände geraten?“ Vermutlich schlummern in den Kuverts noch weitere Daten Prominenter.

Dass die Akten offen herumliegen, ist kein Geheimnis. Schon einige sind in die leer stehende Klinikräume eingebrochen. Bierflaschen und Musikboxen stehen herum. Jemand hat Röntgenbilder an eine Fensterscheibe geklebt und auf einen Stuhl eine Bleiweste und Handschuhe drapiert. Ein gruseliger Anblick. Besonders pikant: Vor zwei Wochen fand eine offizielle Veranstaltung in den Räumen statt.

Party-Gäste tanzen neben Patientenakten

Zu einer Kunstaktion kamen rund 200 Personen. Eine Art Abrissparty. „Künstler und Spinner waren da, aber alle friedlich“, sagt Dieter Wiedemann, Nachbar der Klinik und Bruder des einstigen Klinikbetreibers. Partygäste tanzten neben sensiblen Patientenakten.

Dieter Wiedemann betont, dass seine Familie mit dem schlampig aufbewahrten Dokumenten nichts zu tun habe. Als das italienische Unternehmen Sanacare das Sanatorium im Jahr 2004 übernommen habe, seien alle Akten in das Eigentum dieser Firma übergegangen. Ein Jahr später meldeten die Italiener Insolvenz an. Sie seien plötzlich verschwunden, ohne groß aufzuräumen, sagt Dieter Wiedemann. Fremde hätten sich seitdem immer wieder in den verlassenen Häusern herumgetrieben. In sie einzubrechen sei nie schwer gewesen.

Es gibt strenge Regeln

Schränke voll mit Patientenunterlagen befinden sich in den Räumen des ehemaligen Sanatoriums.

Patientenakten sind „sensibles Material“, erklärt Prof. Dr. Thomas Petri, Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz. „Die Anforderungen für den Schutz sind besonders hoch.“ Es gebe eine Fülle von Regeln. Krankenhäuser müssten die Unterlagen nach der abgeschlossenen Behandlung in ein passives Archiv verschieben, das nicht frei zugänglich ist. Die Prüfung der Sicherungsmechanismen sei eine wichtige Aufgabe der Datenschützer, sagt Petri. „Leider müssen wir immer wieder Mängel feststellen.“ Röntgenbilder müssten in der Regel zehn Jahre lang aufbewahrt werden. „Kopien sind dann zu entsorgen.“ Die Aufnahmen, die in der Wiedemann-Klinik liegen, sind laut Aufdruck teilweise 30 Jahre alt. Das Problem, dass sich nach einer Insolvenz niemand mehr zuständig fühlt, kennt Petri. Er setze sich dafür ein, gesetzlich zu verankern, dass in solchen Fällen die Kammern für ihre Mitglieder eintreten müssen. Schon jetzt, sagt Petri, kümmern sich die Ärztekammern nach der Insolvenz oder dem Tod eines Arztes um die Verwahrung der Akten. Jedoch aus „Gutwill“. Für sie wolle er Rechtssicherheit schaffen. In Baden-Württemberg ist das bereits geschehen, sagt Petri.

Das alte Gebäude soll abgerissen werden

Soll abgerissen werden: Eines der Gebäude des ehemaligen Sanatoriums in Ambach.

Neuer Eigentümer des Wiedemann-Areals in Ambach ist seit April das Unternehmen „Kuratorium Wohnen im Alter“ (KWA) aus München. Es will das alte Gebäude abreißen und Seniorenwohnungen bauen. Die Künstler-Party habe vor Besitzübergang mit Erlaubnis der KWA stattgefunden, teilt das Unternehmen auf Nachfrage mit. „Zur Überraschung von KWA befanden sich in dem Gebäude noch Unterlagen, die dem Klinikbetrieb zugeordnet werden konnten“. Man hätte sensible Unterlagen sowie Patientenakten, soweit die als solche erkennbar waren, unmittelbar nach dem Grundstückskauf und noch vor der Party entfernt, beteuert KWA. Das Betreten des Grundstücks sei „rechtsverletzend, da es sich um Privatgrund handelt“.

 

Stellungnahme des Ostuferschutzverbandes


zum Begehren der Gesellschaft „Kuratorium Wohnen im Alter“ (KWA) zur Errichtung eines überregionalen Seniorenwohnheims auf dem Gelände der ehemaligen Kurklinik Wiedemann in Ambach:

Der Ostuferschutzverband teilt mit zahlreichen Bürgern die strikte Ablehnung eines Großprojekts im sensiblen Ambacher Raum, sieht aber auch wertvolle Möglichkeiten für die Gemeinde Münsing, von ihrer Planungs- und Gestaltungshoheit Gebrauch zu machen.

Auf dem Gelände der ehemaligen Kurklinik besteht kein Baurecht. Es befindet sich im Außenbereich, die im Verfall befindlichen Gebäude wurden ohne Bebauungsplan errichtet, ein Bestandschutz ist nach Jahren des Leerstands ohne Nutzung nicht mehr gegeben. Die Gemeinde hat hier die seltene Gelegenheit, souverän zu entscheiden, was mit diesem Gelände im Interesse der Bürger, der Gemeinde, der Landschaft, kurz: in allem, was wir „Heimat“ nennen, zu geschehen hat.

 

Insbesondere hat die Gemeinde die Möglichkeit, das Gelände zu renaturieren, das heißt: der Natur zurückzugeben. Eine solch moderne, zukunftsweisende Entscheidung, vom Gemeinderat einer der schönsten und begehrtesten Gemeinden des bayerischen Oberlands getroffen, hätte breite Signalwirkung und würde zum Renommee des Gemeinderats und seinem Erscheinungsbild ganz außerordentlich beitragen. Die Gemeinde würde demonstrieren, dass sie sich dem Erhalt der Natur, des Landschafschutzes und der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlt und zukünftigen Generationen eine möglichst intakte Heimat hinterlassen will. Die Entscheidung zum Bau eines Großprojekts inmitten der Natur wäre hingegen eine rückwärtsgewandte Lösung, die kaum viel Beifall finden dürfte.

Die Gemeinde ist in der glücklichen Lage, ihre Entscheidung ohne gravierende wirtschaftliche Bedenken fällen zu können. Der Nutzen eines Seniorenwohnheims mit geschätzten 14.500 qm Geschossfläche für die lokale Wirtschaft ist durchaus fraglich. Projekte dieser Größenordnung werden fast immer europaweit ausgeschrieben, der günstigste Anbieter erhält den Zuschlag, ob örtliche Firmen und Handwerksbetriebe zum Zug kommen, ist vollkommen offen. Ebenso unsicher ist es, ob Pflegekräfte und anderes Personal aus der Region, aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland rekrutiert werden. Als gemeinnützige Aktiengesellschaft ist das „Kuratorium Wohnen im Alter“ von der Gewerbesteuer befreit und generiert der Gemeinde Münsing keine steuerlichen Einnahmen. Andererseits könnten auf die Gemeinde Erschließungskosten in unbestimmter Höhe zukommen. Hinzu kommt, dass die Preisgestaltung in anderen Einrichtungen des „Kuratoriums Wohnen im Alter“ nicht hoffen lässt, dass Senioren mittlerem oder niederem Einkommens aus unserer Gemeinde hier einen Platz finden würden.

Im Licht des oben Gesagten und im Auftrag seiner Satzung ermutigt der Ostuferschutzverband den Gemeinderat der Gemeinde Münsing, seine Souveränität auszuspielen und eine Entscheidung zum Wohle der Natur und dem Wohlergehen heutiger und zukünftiger Bürger zu treffen.

Gänzlich unakzeptabel wäre für den Ostuferschutzverband ein Baurecht von größerem Volumen als das der ehemaligen Kurklinik. Schärfste Opposition des Ostuferschutzverbands würde herausfordern, wenn von den zum Teil mehr als 100 Jahre alten, mächtigen und großartigen Bäumen auf dem ehemaligen Kurgelände auch nur ein einziger gefällt würde. Für eine naturnahe Lösung sagt der Ostuferschutzverband der Gemeinde und ihrer Verwaltung seine volle Unterstützung zu.

Ambach/Ammerland, im Juni 2016

Ursula Scriba, 1. Vorsitzende                          Prof. Johannes Umbreit, 2. Vorsitzender