Das Ölgemälde „Das Bierschiff“ hat der Maler Colombo Max im Jahre 1950 gemalt. Es gehört dem Gastwirt Rainer Sailer und hängt in der Wirtsstube des „Hotels am See“ in Ammerland. (Foto: Elisabeth Biron von Curland)
Fährleute transportierten einst Alkohol und Frachtgut über das Wasser. Tutzing und Ammerland waren dabei bedeutende Standorte für den Bierverkehr. Um die Fässer abzuladen, wurden sogar eigene Stege errichtet.
Donnerstag, 28. September 2023, Isar-Loisachbote / Lokalteil
Satirisches Sittengemälde
Johannes von Bülow begeistert mit seiner Loriot-Lesung – Humorist wäre heuer 100 geworden von TANJA LÜHR
Münsing– Am Loriot-Gedenktag auf Gut Nantesbuch in Bad Heilbrunn im Juli war Petra Schulze dem Theater- und Filmschauspieler Johann von Bülow zum Schluss extra hinterhergerannt, um ihn nach seiner Schuhgröße zu fragen. Verwundert gab dieser Auskunft. Am Samstagabend erfuhr er nun den Grund für die Neugier der Vize-Vorsitzenden des Ostuferschutzverbands (OSV). Bevor er aus Loriots Kolumne „Der ganz offene Brief“ las, überreichte sie ihm ein Paar von OSV-Vorstandsmitglied Mechthild Felsch gestrickte Socken. Anthrazitfarben mit roter Spitze aus Regia-Wolle, vierfädig – genau solche, wie Vicco von Bülow sie jahrelang bei der Münsingerin Josefine Schmid (inzwischen 90) bestellt hatte. Außerdem gab es gelbe Gummi-Entchen für den Vorleser, der entfernt mit Vicco von Bülow alias Loriot verwandt ist, sowie für Susanne von Bülow. Die Tochter des Münsinger Ehrenbürgers lebt noch zeitweise im Haus der Familie in Wimpasing.
100 Jahre alt wäre ihr Vater heuer geworden. Aus diesem Anlass hatte der OSV zu der Lesung in die Loth Hof Tenne der Familie Mair eingeladen, wo an dem Abend kein Stuhl unbesetzt blieb.
Zwischen 1957 und 1961 war in der Illustrierten „Quick“ die Kolumne „Der ganz offene Brief“ erschienen. In Text und Bild zeichnete der noch junge Karikaturist und Autor Loriot darin im Wechsel mit seinem Ambacher Kollegen Manfred Schmidt, Schöpfer des Meisterdetektivs Nick Knatterton, ein Sittengemälde der damaligen Bundesrepublik – zwischen Wirtschaftswunder, Verordnungsdschungel und Italienliebe. Die 115 satirischen Beiträge wären wohl in Vergessenheit geraten, hätte Susanne von Bülow 2014 nicht gemeinsam mit Peter Geyer ein Buch mit ihnen herausgegeben.
Vorleser Johann von Bülow erwies sich als ganz hervorragende Wahl. Mit näselnder Stimme traf er den distinguierten Ton der Briefe. Mit russischem Akzent – der Kalte Krieg hatte damals eine große Rolle gespielt – trug er die Texte über Wettrüsten und Atombomben vor. In einwandfreiem Wiener Dialekt gab er einen Antwortbrief eines Österreichers zu Toni Sailer wider. Der Schauspieler ließ sein ganzes Talent in Betonung, Mimik und Gestik einfließen.
„Sehr geehrte Quick“, beginnt jeder Text. Zu „Laika“, der ersten Hündin, die 1957 von den Russen mit einem Raumflugkörper ins Weltall geschickt worden war, bemerkte Loriot bedauernd, dass seine beiden Möpse „in solchen Dingen gar keinen Ehrgeiz zeigen“. Elvis Presley bezeichnete er als „teuerste Nervensäge der Welt“ und einen neuartigen „Taschen-Lügendetektor für den innerfamiliären Bereich“ als Bedrohung für jede Ehe.
Manches würde heute nicht mehr durchgehen, weil zu frauenfeindlich. Das Publikum lachte trotzdem herzlich über eine angebliche wissenschaftliche Erkenntnis, die Loriot aufgegriffen hatte: „Lebensbedrohlich für das männliche Herz ist“ – bedeutungsvolle Pause – „der weibliche Redeschwall.“ Oft waren es Alltagsbeobachtungen, die der unsterbliche Humorist thematisierte. Da waren die schmalen Olivengläser, deren Inhalt nur mit Mühe zu entnehmen war, oder die 29 Stecknadeln im neuen Herrenhemd, bei dem man die letzte Nadel stets zu entfernen übersah. In seiner Kolumne nahm Loriot viele Dinge aufs Korn, die sich in seinen späteren Fernsehsketchen wiederfanden. Der „Hosenkauf“ ist eindeutig eine Fingerübung für den Sketch, in dem der Mann mit der Hose in den Kniekehlen das Bekleidungsgeschäft verlässt.
Mitunter besaß der junge Vicco von Bülow einen prophetischen Blick. Etwa, als er sich darüber ausließ, dass im Fernsehen Ehestreitigkeiten geschlichtet und fristlose Entlassungen rückgängig gemacht würden. Reality-TV gab es erst viel später. Vor 50 Jahren schon monierte er in der ihm eigenen, blumenreichen Sprache die Kurzlebigkeit von Industrieerzeugnissen und die Taktik dahinter.
Köstlich sind die Karikaturen zu jedem Thema, etwa die zum Massentourismus mit der Bildunterschrift „Die Deutschen haben sich den italienischen Stiefel angezogen“, wo ein Mann sich tatsächlich in einen Schuh mit extrahohem Schaft zwängt. 1961 wurden die Zuckerung des Weins und die Zugabe verschiedener Chemikalien erlaubt. Weinkenner Loriot spottete, dass trotzdem noch jeweils genau eine Traube den Weg ins Fass finde. Damit hatte er sich natürlich keine Freunde unter den Winzern gemacht. Aus Angst vor Repressalien bat er die Redaktion der „Quick“ um Entbindung vom „Ganz offenen Brief“. Die Antwort lautete zwar „Nein!“, er hörte trotzdem auf und wurde auf anderen Gebieten erfolgreich, bekannt und beliebt.
nches würde heute nicht mehr durchgehen, weil zu frauenfeindlich. Das Publikum lachte trotzdem herzlich über eine angebliche wissenschaftliche Erkenntnis, die Loriot aufgegriffen hatte: „Lebensbedrohlich für das männliche Herz ist“ – bedeutungsvolle Pause – „der weibliche Redeschwall.“ Oft waren es Alltagsbeobachtungen, die der unsterbliche Humorist thematisierte. Da waren die schmalen Olivengläser, deren Inhalt nur mit Mühe zu entnehmen war, oder die 29 Stecknadeln im neuen Herrenhemd, bei dem man die letzte Nadel stets zu entfernen übersah. In seiner Kolumne nahm Loriot viele Dinge aufs Korn, die sich in seinen späteren Fernsehsketchen wiederfanden. Der „Hosenkauf“ ist eindeutig eine Fingerübung für den Sketch, in dem der Mann mit der Hose in den Kniekehlen das Bekleidungsgeschäft verlässt.
Mitunter besaß der junge Vicco von Bülow einen prophetischen Blick. Etwa, als er sich darüber ausließ, dass im Fernsehen Ehestreitigkeiten geschlichtet und fristlose Entlassungen rückgängig gemacht würden. Reality-TV gab es erst viel später. Vor 50 Jahren schon monierte er in der ihm eigenen, blumenreichen Sprache die Kurzlebigkeit von Industrieerzeugnissen und die Taktik dahinter.
Köstlich sind die Karikaturen zu jedem Thema, etwa die zum Massentourismus mit der Bildunterschrift „Die Deutschen haben sich den italienischen Stiefel angezogen“, wo ein Mann sich tatsächlich in einen Schuh mit extrahohem Schaft zwängt. 1961 wurden die Zuckerung des Weins und die Zugabe verschiedener Chemikalien erlaubt. Weinkenner Loriot spottete, dass trotzdem noch jeweils genau eine Traube den Weg ins Fass finde. Damit hatte er sich natürlich keine Freunde unter den Winzern gemacht. Aus Angst vor Repressalien bat er die Redaktion der „Quick“ um Entbindung vom „Ganz offenen Brief“. Die Antwort lautete zwar „Nein!“, er hörte trotzdem auf und wurde auf anderen Gebieten erfolgreich, bekannt und beliebt. VON TANJA LÜHR
Münsing Aktuell Nr. 3 – 2023
„Ich kenne mich besser mit Loriot- Sketchen aus, als Ralf Schmitz“, behauptet Anfang dieses Jahres die 13jährige Alley in der Spielshow „Klein gegen Groß“. Schön zu sehen, wie Loriot auch in den nächsten Generationen präsent ist! Man sprach darüber, dass Loriot, alias Bernhard-Viktor Christoph-Carl, kurz Vicco von Bülow am 12. November 100 Jahre alt geworden wäre. Schon hier reifte die Idee, ihn mit einer ganz besonderen Veranstaltung zu feiern (s.u.). Das war uns dann auch möglich, da Loriot und seine Familie seit Jahrzehnten treue und interessierte OSV Mitglieder sind, die sich engagiert, aber stets zurückhaltend einbringen.
Bei unserer OSV-Lesung am 23. September müssen wir auf Sätze wie: „Ich lasse jetzt die Ente zu Wasser“, „Früher war mehr Lametta!“, „Ja wo laufen sie denn?“ oder „Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen!“ verzichten. Dafür hören wir sehr satirisch „aktuelle Ereignissen, kuriose Meldungen und alltäglichen Erlebnisse“ und sehen viele Karikaturen, die bisher kaum jemand zu Gesicht bekommen hat. Um Loriot selbst zu zitieren: „Meine Zeichnungen sind Handarbeit, ausgeführt in wasserfester Tusche auf Papier. Mein grafisches Gesamtwerk wäre im Bedarfsfall also kompostierbar!“
Bei der Enthüllung des Pocci Denkmals in Münsing war unter den Zuschauern auch Vicco von Bülow alias Loriot Foto: Neubauer, Süddeutsche Zeitung vom 18./19. März 2006
Nochmals zur Erinnerung: Der Pirol ist der Wappenvogel Derer von Bülow und heißt auf Französisch „Loriot“. Dabei legte der Meister besonderen Wert darauf, keinesfalls mit „Herr Loriot“ angesprochen zu werden.
Vicco von Bülow wurde in Brandenburg an der Havel geboren. Am 12.11.1923 „lernte ich mit einer Länge von 50 cm und einem Gewicht von 7 Pfund meine Eltern kennen.“ Von 1963 an bis zu seinem Tod am 22.8.2011 lebte er in Ammerland. Sein Grab befindet sich in Berlin. 1993 wurde er Ehrenbürger Münsings. Damals wie heute wissen wir Gemeindebürger, wie man mit „unseren Promis“ lebt: Ein freundliches Kopfnicken, ansonsten lässt man sie in Ruhe. Freunde und Nachbarn berichten, dass Loriot in der Öffentlichkeit nie auffiel. Kannte man ihn näher, fiel das Schutzschild der Ironie weg, es wurde herzlich gelacht und man konnte über alles sprechen.
Im Sommer 1989 fand das viele Jahre sehr beliebte „Spiel ohne Grenzen“ am Schweiblbach in der Gemeinde Münsing statt. Zwei Gemeinden traten in sportlichem Wettstreit gegeneinander an, unterstützt von einem Rateteam. In unserem saß neben dem damaligen Bürgermeister Silvester Pölt auch Loriot. Nach 34 Jahren spiegeln die verschwommenen Bilder noch immer den spitzbübischen Witz des damals 66jährigen wieder. Der Moderator Michael Schanze fragte ihn: „Sind Sie ein Pedant?“ Darauf sehr spontan: „Ich bin pingelig, wenn Sie’s genau wissen wollen!“
Jede Gemeinde wurde mit einem kleinen Werbefilm vorgestellt. Loriot hat unseren damals mit folgenden Kommentaren unterlegt: „An klaren Tagen stehen die Alpen direkt vor der Türe. Damit uns das nicht zu viel wird, sind sie bei Dunst und Nebel unsichtbar.“ oder „In München sind die Mieten nur deswegen so hoch, weil Münsing in einer halben Stunde erreichbar ist!“
Die gegnerische Partei aus Recklinghausen wurde von Hape Kerkeling auf der Bühne unterstützt. Wir haben ihn nach 34 Jahren angeschrieben und ihn zu Loriot befragt. Freundlicherweise hat er uns umgehend einen Text zukommen lassen, den er anlässlich von Loriots Tod 2011 im Spiegel veröffentlichte. Darin heißt es: „ Auf eine internationale Karriere hat Loriot ja immer verzichtet, da er nach eigenem Bekunden Worte wie ‚Sitzgruppe‘ oder ‚Auslegeware‘ für nicht ins Englische übersetzbar hielt. Aber für unsere Nation war er so etwas wie der heimliche Bundespräsident….. Dieser liebenswürdige, menschenfreundliche, kluge, gebildete und edle Preuße!“
Über einige Besonderheiten unseres Ehrenbürgers Loriot möchten wir noch berichten.
Wer zum „Neujahranblasen“ der Blaskapellen oder welche Sternsinger an Dreikönig im Ortsteil Wimpasing mitgehen durften, wurde heiß debattiert. War es doch eine besondere Ehre, wenn Loriot selbst zum Taktstock griff oder neben Geld für die Sammelbüchse noch etwas für die durchgefrorenen Dreikönige bereithielt.
Nachbarn haben Loriot nicht als Sportler mit Spazierstöcken oder im Laufdress in Erinnerung. Nur das weithin hörbare Ping Pong – Ping Pong zeugte von Tischtennisspielen mit seinem Freund Patrick Süskind.
Sicher allen Gemeindebürgern ist das SZ- Interview mit Josefine Schmid noch im Gedächtnis, das sie zum 10. Todestag von Loriot gab. Darin verriet sie, dass dieser gerne von ihr persönlich handgestrickte, anthrazitfarbene Socken mit einer knallroten Spitze trug, natürlich ausschließlich aus vierfädiger Regia-Wolle.
Aus dem Flurfunk der Münsinger Briefträger/innen gibt es noch eine nette Geschichte: Früher kamen Glückwunschtelegramme per Telefon in der Poststelle an. Man nahm diese handschriftlich auf, tippte das Ganze dann in das dafür vorgesehene Schmuckblatt und fuhr dieses wichtige Telegramm umgehend an den Empfänger aus. Loriot, der immer einen ganze Reihe von Telegrammen zum Geburtstag bekam, bat in seiner bescheidenen Art darum, diese zu sammeln und ihm am nächsten Tag gebündelt zu übergeben.
Als unser ehemaliger OSV Vorsitzender Dr. Florian Müller als Gemeinderat und dritter Bürgermeister verabschiedet wurde, bekam er, wie auch eine ganze Reihe ausscheidender Gemeinderäte, diese herrliche Karikatur von der Gemeinde.
Der Münsinger Gemeinderat, Bildrechte Studio Loriot
Nachruf im Heute Journal vom 23.8.2011:
„Loriots Humor ist anarchisch, zugleich bürgerlich, subversiv aber nicht ätzend, elegant aber nicht elitär, durchaus anzüglich aber nie obszön, spöttisch aber immer menschenfreundlich. Ein Humor über den man lauthals lachen konnte, aber ohne die Schenkelklopfer heutiger Comedians. Wäre jemals jemand auf die Idee gekommen, Loriot einen Comedian zu nennen? Natürlich nicht. Er war eine andere Welt: Individualist, Feingeist, Vielkönner.“
Das Bundesministerium der Finanzen bringt am 28. September 2023 zu Ehren des 100. Geburtstag eine 20-Euro-Silbermünze heraus. Diese „Sammlermünzen greifen historische, kulturelle oder gesellschaftspolitische Themen auf, die für Deutschland von Bedeutung sind.“ Welch wohlverdiente Ehre! Eine Briefmarke wird am 2. November 2023 erscheinen.
Am 23.9. findet um 18:30 Uhr die OSV-Lesung „Der ganz offene Brief“ in der Lothoftenne in Münsing statt.
Diese „Seltsamkeiten des öffentlichen Lebens“ erschienen in den 1960er Jahren als Kolumnen in der Illustrierten Quick, immer abwechselnd mit seinem Vorbild und Ambacher Freund Manfred Schmidt. Der Schauspieler Johann von Bülow, ein Mitglieder dieser großen, mecklenburgischen Familie, stellt sich für eine „Nachbarschaftslesung“ zur Verfügung. Bereichert mit wunderbaren Karikaturen wird dieses „Sittengemälde der jungen BRD“ sicher ein Augen- und Ohrenschmaus sein.
Während der OSV mit seiner Lesung Loriot als Autor zum Thema nimmt, geht es beim Festkonzert am 12.11.23 in der Isarphilharmonie um „Loriot und die Musik – eine Liebesgeschichte“. Eintrittskarten über „München Ticket“.
Loriot bleibt für immer in unserem Gedächtnis, schon alleine wegen der Ampelanlage in Münsing, die uns täglich an ihn erinnert, denn „egal, von welcher Seite man sich ihr nähert, sie ist immer rot!“
In Degerndorf plant die Firma AGROBS nach eigener Angabe eine Betriebserweiterung durch Bau zweier großer neuer Produktions- und Lagerhallen im Außenbereich auf der Nordseite des Betriebsgeländes. Dieses Vorhaben beschäftigt anscheinend seit längerer Zeit Landratsamt und Gemeinde Münsing. Es stellt die Bürger der Gemeinde und unseren Verband vor die schwierige Frage, was schwerer wiegt: Der verständliche Wunsch eines heimischen Futtermittelbetriebs nach Vergrößerung oder der Schutz des Außenbereichs vor weiterer Zersiedelung und Versiegelung. Einerseits sollen einheimische Betriebe in ihrer Entwicklung nicht behindert werden. Andererseits soll der Außenbereich nicht einer Bebauung geopfert werden, deren Ende nicht abzusehen ist. Ob die Belastung der Umwelt durch die Staubentwicklung der Futtermittelherstellung tatsächlich so groß ist, dass dafür Außenbereich geopfert werden muss, sollte genau geprüft werden. Für derartige Betriebe sind eigentlich Gewerbe- und Industriegebiete vorgesehen. Es ist ja eine seltsame Logik, dass ein Betrieb sich umso leichter im Außenbereich ansiedeln darf, je stärker er die Umwelt belastet. Diese Fragen und die Frage der zusätzlichen Verkehrsbelastung sollten mit den Bürgern und dem Gemeinderat vor einer Entscheidung gründlich diskutiert werden. Jedenfalls sollte ohne gründliche Planung und Abwägung aller Fragen kein ständig weiterwachsendes Futtermittelindustriegebiet am Rand von Degerndorf geschaffen werden.
Gemeinderat berät am Dienstag über die teils umstrittenen Erweiterungspläne der Firma Agrobs
Münsing – Die Degerndorfer Firma Agrobs möchte erweitern. Am kommenden Dienstag, 29. August, wird der Gemeinderat über den Bauantrag für zwei weitere Hallen – Nummer 6 und Nummer 7 – auf dem Grundstück an der Angerbreite beraten. Zum Ärger mancher Bürger gab es bereits nicht öffentliche Vorbesprechungen zu dem Projekt.
Der Pferdefutter-Hersteller wäre nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BimSchG) privilegiert, das heißt zum Bauen berechtigt. Weil täglich um die 350 Tonnen staubintensive Schüttgüter bei der Produktion anfallen, kann Agrobs nicht einfach in ein Gewerbegebiet oder an einen anderen Standort mit Menschen in der Nachbarschaft ausweichen. Versucht haben die Brüder Simon und Florian – beide Geschäftsführer – sowie Thomas Berger (Prokurist) das nach eigenen Angaben, indem sie unter anderem im neuen Gewerbegebiet in Gelting angefragt haben. Doch dort wollte man sie nicht.
Die Expansionspläne sind im Gemeinderat und in der Bevölkerung umstritten. 2016 errichtete Agrobs zwei neue, rund zehn Meter hohe Hallen zu den damals bereits bestehenden drei. Der Gemeinderat hatte das aufgrund der Rechtslage zähneknirschend genehmigt, jedoch betont, dass man die Entwicklung im Außenbereich damit als abgeschlossen betrachte. Die zwei neuen Gebäude sollen nun auf der freien Wiese nördlich des Bestands entstehen, mit gut 150 Metern Abstand zur geplanten Freiflächen-Photovoltaik-Anlage, um Staub auf den neuen Paneelen auszuschließen.
Während einer Firmenbesichtigung erklärten Simon und Thomas Berger unserer Zeitung, warum die Neubauten notwendig sind. Das vor genau 30 Jahren von Jakob Berger gegründete Unternehmen floriert. Auch in wirtschaftlich unsicheren Zeiten gibt es genügend Pferdebesitzer, die ihren Sport- und Freizeittieren nur das beste Futter anbieten möchten.
Hochwertig sind die mehrfach preisgekrönten Produkte von Agrobs zweifelsohne. Jakob Berger brachte 1983 die ersten gepressten Heupellets für Pferde auf den Markt, die noch heute erhältlichen „Pre Alpin Wiesencobs“. Das Sortiment wurde mit Hilfe von Tierärzten stetig verfeinert und verbessert. Heute findet man von völlig getreidefreien und somit gut verdaulichen Produkten über eiweißreiche Mischungen für laktierende Stuten und Sportpferde bis hin zu kurz geschnittenem Seniorenfutter so ziemlich alles, was das Herz begehrt – Leckerlis, kompakte Würfel für unterwegs sowie mit Luzerne, Ölen, Apfeltrester oder Sonnblumenkernen angereicherte „Müslis“ eingeschlossen. Schon seit 1989 gibt es eine Bio-Schiene.
„Wir verarbeiten 50 verschiedene Rohstoffe“, sagt Simon Berger, der das Unternehmen mit seinen Brüdern seit 2007 leitet, und zeigt auf die vielen, unterschiedlich etikettierten Säcke in den Regalen. 78 eigene Produkte sind es. Auch einige andere Pferdefuttermittel-Hersteller nahmen seine Eltern 1996 mit auf. Das verarbeitete Gras stammt von rund 600 Vertragslandwirten aus der Gemeinde und Umgebung, die nicht alles selbst für ihre Tiere benötigen, beziehungsweise keine Viehhaltung betreiben. Es wird getrocknet, gesiebt, entsteint und entstaubt.
Trotz aller Technik entweiche Staub, und dieser setze sich rund um den Standort ab, erklärt Simon Berger. Das tägliche Volumen sei begrenzt: 400 Tonnen staubintensive Schüttgüter dürften es maximal sein. Das Landratsamt in Tölz habe die Werte vor der Genehmigung der Hallen 4 und 5 prüfen lassen und jetzt noch einmal ganz aktuell, sagt Simon Berger.
Bürgermeister Michael Grasl erklärt auf Nachfrage unserer Zeitung, der Gemeinderat müsse in der kommenden Sitzung darüber entscheiden, ob er einen Bebauungsplan für das Gelände aufstellt. „In dem Fall könnten wir die Entwicklung dort oben besser steuern“, meint Grasl. Denn mehrfach hatte der Rat in den vergangenen Jahren bekräftigt, dass die Entwicklung auf der Anhöhe am Ortsrand nicht endlos so weitergehen könne.
Der Münsinger Rathauschef weist allerdings auch darauf hin, dass Agrobs ein wichtiger Arbeitgeber und Steuerzahler sei. Die Firma beschäftigt rund 100 Mitarbeiter. 30 von ihnen sind in einem Büro im Gewerbegebiet Am Schlichtfeld in Münsing ausgelagert – auf Dauer ist das kein Idealzustand. Im Jahr 2022 machte Agrobs laut Thomas Berger einen Jahresumsatz von mehr als 40 Millionen Euro.
Die Kritiker der Erweiterungspläne, darunter die Vorstandschaft des Ostuferschutzverbands (OSV), sehen in den neuen Gebäuden eine Verschandelung des Landschaftsbilds und prangern die Versiegelung von Grünland an. In einer Pressemitteilung fragt sich der Vorsitzende Johannes Umbreit, was schwerer wiege: der verständliche Wunsch eines heimischen Betriebs nach Vergrößerung oder der Schutz des Außenbereichs vor weiterer Zersiedelung und Versiegelung, deren Ende „nicht abzusehen“ sei. Bereits der geplanten und mittlerweile vom Gemeinderat genehmigten Freiflächen-Photovoltaik-Anlage von rund fünf Hektar Größe stand der OSV skeptisch gegenüber. Außerdem befürchtet der Umweltverband eine weitere Zunahme des Schwerlastverkehrs zwischen Münsing und Degerndorf. Darauf entgegnet Thomas Berger: „Neu geschaffene Lagermöglichkeiten am Standort würden die Warenbewegungen zu den gut 20 Außenlagern in der Region reduzieren.“
Mit der Freiflächenanlage möchte Agrobs seinen eigenen Strom generieren. Über 90 Prozent davon sollen ins Netz fließen. 250 Kilowatt Strom liefern bereits Module auf den Dächern der bestehenden Hallen. „Wir sehen uns als ökologisch verantwortungsvollen Betrieb“, sagt Simon Berger, selber Gemeinderat der Einigkeit Degerndorf.
Isar Loisachbote, 31. August 2023, Tanja Lühr
„Entwicklung nicht verhindern, aber steuern“
Geplante Erweiterung der Firma Agrobs: Gemeinderat beschließt Aufstellung eines Bebauungsplans
Münsing – Der Gemeinderat hat in seiner Sitzung am Dienstag beschlossen, einen Bebauungsplan (B-Plan) für das Firmengelände des Pferdefutterherstellers Agrobs in Degerndorf aufzustellen. Der Tagesordnungspunkt hatte zahlreiche Zuhörer ins Rathaus gelockt.
Wie berichtet möchte das florierende Unternehmen an der Angerbreite zwei neue Produktions- und Lagerhallen von 50 mal 30 Metern Größe zusätzlich zu den bestehenden fünf Hallen bauen. Sie sollen nördlich des Betriebsgeländes entstehen. In einer internen Sitzung hat die Leiterin der Bauabteilung des Landratsamts, Juristin Maya Mantel, den Mandatsträgern wohl gesagt, Agrobs dürfe in jedem Fall bauen – ob nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), das staubintensive Betriebe im Außenbereich zulässt, oder mit einem durch die Gemeinde aufgestellten Bebauungsplan. Das berichtete Helge Strauß (CSU) von den Vorberatungen. „Wir können also gar nichts beeinflussen“, ergänzte sein Fraktionskollege Thomas Schurz. Beide sprachen sich gegen einen B-Plan aus, weil dieser nur Zeit und Geld koste. Schurz drückte es, wie immer, plakativ aus: „Über was entscheiden wir hier: Darüber, ob zwei Hallen gebaut werden oder ob zwei Hallen gebaut werden.“
Ganz so ist es Bauamtsleiter Stephan Lanzinger zufolge nicht. „Wir können die bauliche Entwicklung mit einem Bebauungsplan zwar nicht verhindern, aber steuern“, erklärte er. Über die Größe der Gebäude lasse sich beispielsweise reden und weitere, eventuell geplante Neubauten könnten abgelehnt werden.
Ein Antrag von Christine Mair (Grüne), Erweiterungen im Norden des Geländes per B-Plan ganz auszuschließen, fand keine Mehrheit. Mit 9:5 Stimmen beschloss der Rat, einen Bebauungsplan in Angriff zu nehmen. Susanne Huber (Freie Wähler) sagte, das in der Bevölkerung heiß diskutierte Thema verdiene eine „sorgfältige Abwägung“. Ernst Grünwald (Wählergruppe Ammerland) meinte, die Mühe sei man den nachfolgenden Generationen schuldig. Professor Matthias Richter-Turtur (Grüne) sprach sich ebenfalls dafür aus, um das „grenzenlose Wachstum“ der Firma zu bremsen. Denn Sorgen bereiten den Kritikern nicht nur die Flächenversiegelung und die Zersiedelung der Landschaft, sondern auch der Schwerlastverkehr, der zum Teil mitten durch Münsing nach Degerndorf rollt. Der Bauantrag der Firma Agrobs auf Grundlage des BImSch-Gutachtens im nächsten Tagesordnungspunkt wurde folglich abgelehnt. Agrobs-Geschäftsführer und Gemeinderat Simon Berger (Einigkeit Degerndorf) war von der Beratung und Beschlussfassung ausgeschlossen.
Münsing – Schriftsteller und Literaten lebten und leben zuhauf am Starnberger See. Es gab immer wieder vereinzelte Veranstaltungen mit ihnen. Der Kulturreferent des Gemeinderats, Georg Sebald, möchte der Wortkunst nun ein eigenes Format geben und hat deshalb die neue Reihe „Münsinger Lesungen“ ins Leben gerufen.
„Wir haben die renommierten Holzhauser Musiktage, die traditionellen Konzerte unserer drei Blaskapellen und unsere Theateraufführungen. Der Literatur haben wir bisher wenig Raum gegeben“, sagt Sebald. In Verbindung mit kleinen musikalischen Darbietungen sollen regionale Autoren deshalb eine Bühne erhalten. Georg Sebald denkt dabei auch schon an das zum Ende des Jahres bezugsfertige Bürgerhaus. Dort, aber nicht nur dort, könnte die Reihe fortgesetzt werden. „Wir wollen bewusst alle Örtlichkeiten einbeziehen – von den Tennen über die Cafés bis zum schönen Garten der Grundschule“, sagt Sebald. Unterstützt wird er von zahlreichen Vereinen, wie der „Franz Graf von Pocci Gesellschaft“ oder dem Ostuferschutzverband.
Dem ist es gelungen, Schauspieler Johann von Bülow für eine Lesung zum 100. Geburtstag Vicco von Bülows alias Loriot im September zu gewinnen. Die Gemeinde Münsing gibt eine Anschubfinanzierung für das neu aufgelegte Programm aus dem jährlichen Kulturbudget in Höhe von 5000 Euro. Das Interesse der Künstler sei groß gewesen. „Da war ich sehr positiv überrascht“, sagt Georg Sebald.
Am kommenden Freitag, 7. Juli, liest der Holzhauser Schauspieler Wowo Habdank ab 20 Uhr in der Baderschmied-Tenne aus dem Roman „Bergheim“ des Ambachers Fritz Wagner. Am 23. September findet ab 18.30 Uhr in der Lothhof-Tenne auf Einladung des Ostuferschutzverbands die Loriot-Lesung statt. Der Humorist und Münsinger Ehrenbürger wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Johann von Bülow, ein entfernter Verwandter, wird einige der zwischen 1957 und 1961 in der Zeitschrift „Quick“ erschienenen Kolumnen „Der ganz offene Brief“ vortragen.
Noch offen sind Termine für eine Präsentation des dritten Bands der Münsinger Chronik und eine Lesung mit der aus Tutzinger Autorin Monika Czernin aus „Der Kaiser reist inkognito – Joseph II und das Europa der Aufklärung“. Im Advent liest am Donnerstag, 14. Dezember, nochmals Wowo Habdank ab 20 Uhr in der Ammerlander Kirche die „Heilige Nacht“ von Ludwig Thoma. tal
Es soll eine große Wohnanlage für Senioren werden. Die Baugenehmigung wurde vor Monaten erteilt. Jetzt meldet sich die KWA – und plant einige Änderungen. Der Gemeinderat fühlt sich getäuscht.
Isar Loisachbote, 30. März von Tanja Lühr
Münsing – Der Gemeinderat fühlt sich vom „Kuratorium Wohnen im Alter“ (KWA) getäuscht. Das Unterhachinger Unternehmen, das wie berichtet im Münsinger Ortsteil Ambach eine Senioren-Wohnanlage mit 79 Apartments, Schwimmbad, Veranstaltungssaal und Tiefgarage bauen möchte, hat vier Monate nach Erteilung der Baugenehmigung den ersten Änderungsantrag (Tektur) eingereicht. Der Bauherr möchte jetzt das historische „Waldschlössl“ inmitten des Ensembles doch nicht wie ursprünglich geplant sanieren und zu einem Restaurant- und Verwaltungsgebäude umbauen. Stattdessen will KWA es abreißen und mit originalgetreuer Fassade wieder errichten.
Ärger um Senioren-Anlage in Münsing: Bürgermeister spricht von „Mogelpackung“
Wie KWA-Baumanager Gerhard Schaller in der Gemeinderatssitzung am Dienstag erklärte, könne die Gebäudesubstanz nach Prüfung durch einen Fachmann nicht erhalten werden. Im Zuge der Freilegung seien wesentlich größere Schäden am Mauerwerk als vermutet erkannt worden. Außerdem soll ein anderes Gebäude um eineinhalb Meter größer werden als geplant. Beides hätte der Gemeinderat noch geschluckt. Ursula Scriba (Bürgerliste) bedauerte allerdings, dass das „Herzstück Waldschlössl“ abgebrochen werden soll. Nach Meinung von Helge Strauß (CSU) ließe es sich durchaus sanieren. Dass KWA von der Holzbauweise, mit der Architekt Matteo Thun von Anfang an geworben hatte, auf Ziegel- und Betonbau mit Holzverkleidungen umschwenken möchte, will sich der Gemeinderat jedoch nicht gefallen lassen. Laut Schaller hat man festgestellt, dass es bei einer reinen Holzbauweise Probleme mit der Statik und Bauphysik geben würde. Die 2,20 Meter breiten Balkone etwa würden ohne Stützen nicht aus reinem Holz funktionieren. Stützen wolle man jedoch keine – wegen der angestrebten „horizontalen Optik“ der Gebäude.
Stararchitekt macht einen Entwurf – „dann stellt sich heraus: Er funktioniert nicht“
Architektin Ursula Scriba ist schleierhaft, warum man die Tragwerksproblematik nicht von Anfang an erkannt hat. Susanne Huber (Freie Wähler) spottete: „Da macht ein Star-Architekt wie Matteo Thun so einen Entwurf und dann stellt sich heraus: Er funktioniert nicht.“ Selbst Bürgermeister Michael Grasl (Freie Wähler) fand deutliche Worte: „Herr Thun hat uns eine Holzbauweise mit Holz aus der Region, kohlendioxidneutral und zu 100 Prozent recyclebar, vorgestellt. Und jetzt geht’s hier um eine Holzoptik“. Das sei eine „Mogelpackung“.
Zimmerermeister Thomas Schurz (CSU) sagte, er fühle sich „geblendet“. Stefan Holzheu (Wählergruppe Holzhausen) sprach von einer „Salamitaktik durch die Tekturen“ und appellierte an den Bauherren, sein Versprechen einzuhalten. Dem schloss sich Christine Mair (Grüne) an. Zumindest in den Obergeschossen könne man ohne Weiteres Holz verwenden.
Holzbauweise sollte nachhaltig werden – jetzt gibt es ganz andere Pläne
Huber sieht das Vertrauen, das der Gemeinderat KWA von Anfang an entgegengebracht habe, aufs Spiel gesetzt. Strauß mutmaßte, dem Bauherrn gehe es „nur ums Wirtschaftliche“, was auch Schurz vermutet. Mit 9:6-Stimmen votierte der Gemeinderat für die beiden Änderungen, das heißt, Abriss des Waldschlössls und Überschreitung eines Bauraums. Ausdrücklich vermerkte das Gremium zum Tekturantrag, dass man besonderen Wert auf eine ökologische Bauweise unter Verwendung regionaler Materialien, insbesondere Holz, lege.
Schaller hatte der geballten Kritik nicht viel entgegenzusetzen. Der KWA-Baumanager versprach, sie mit nach Unterhaching zu nehmen. Eine Stellungnahme war von dort am Tag nach der Gemeinderatssitzung für unsere Zeitung nicht zu erhalten. Bürgermeister Grasl suchte am Mittwoch extra noch einmal die Präsentation des international bekannten und mehrfach ausgezeichneten Mailänder Architketen Matteo Thun für unsere Redaktion heraus. Thuns Entwurf mit sechs lang gezogenen Neubauten in Holzfertigbauweise rund um die Villa Waldschlössl setzte sich 2018 bei einem von der Gemeinde organisierten Wettbewerb gegen das Modell des Büros Beer, Bembé, Dellinger mit sieben kleineren Wohnhäusern und ebenfalls Beibehaltung des „Waldschlössls“ durch. Mit den Schlagworten „zero CO2, zero km und zero waste“ warb Thun damals für seine Häuser aus regionalem Holz. Für den Gemeinderat war das neben der Funktionalität ein wesentliches Argument.
Holzbauweise für Wohnstift unverhandelbar
Wolfratshauser SZ, 30.03.2023 von Benjamin Engel
Das KWA will seine Seniorenrichtung in Ambach doch als Massivbau errichten – und löst damit Kritik in Münsing aus.
Für den Bau des Ambacher Seniorenwohnstifts droht das „Kuratorium Wohnen Alter“ (KWA) im Münsinger Gemeinderat massiv an Vertrauen zu verlieren. Schon vor drei Jahren hatte das Gremium kritisch reagiert, als das Unternehmen bekanntgab, die oberen Stockwerke statt in Holz- in Massivbauweise zu errichten. Ein Rückzieher seitens des KWA folgte. Nun schwenkt das Unternehmen erneut um. Im Rahmen einer Tektur zum Baugenehmigungsantrag wurde öffentlich, dass nur noch eine Ziegelbauweise vorgesehen ist, was viele Gemeinderäte massiv kritisierten. Außerdem will das KWA das historische Waldschlössl-Gebäude abreißen und neu aufbauen statt wie angekündigt zu erhalten. Das Unternehmen argumentiert mit statischen und bauphysikalischen Gründen.
Bleiben die Pläne unverändert, wäre somit nur die Fassade holzverkleidet. „Das reicht uns nicht“, so Münsings Bürgermeister Michael Grasl (FW). Die Holzbauweise sei ein wesentlicher Bestandteil des Architektenwettbewerbs gewesen. Baumeister Matteo Thun habe dies so vorgestellt. Laut Münsings Rathaus-Chef sei der Tekturantrag aus rechtlicher Sicht aber nicht abzulehnen. Es lasse sich nur die Gestaltung, nicht aber die Materialauswahl regeln. Im Waldschlössl sei die Bausubstanz aber so schlecht, dass ein originalgetreuer Neubau besser sei als der Erhalt. Schlussendlich stimmte der Gemeinderat mit neun zu sechs Stimmen zwar der Tektur zu. Im Beschluss findet sich der Satz: „Der Gemeinderat legt besonderen Wert auf eine ökologische Bauweise unter Verwendung regionaler Materialien (insbesondere Holz).“
KWA hält Holz wegen der Statik und Bauphysik für problematisch
Als „ökologisch gar nicht so schlecht“ bezeichnete Gerhard Schaller die KWA-Pläne. Der Geschäftsführer des unternehmensinternen Baumanagements verwies etwa auf 4000 bis 5000 Kubikmeter Abbruchmaterial der früheren Sanatoriumsgebäude, die wieder verwendet würden, etwa Stahl, der zuvor getrennt worden sei. „Die Balkone sind frei tragend, müssen gleichzeitig die Dachlast tragen“, so Schaller. „Das können sie ohne Stützen nach unten in Holz nicht bauen.“ Damit würden die Gebäude auch die von Architekt Matteo Thun angedachte Horizontalwirkung der Fassade verlieren. Zudem komme es in den KWA-Einrichtungen auch immer einmal zu Zimmerbränden, weil etwa demenziell erkrankte Bewohner Kerzen anzündeten und so Feuer auslösten. Müsse gelöscht werden, sei die eingedrungene Feuchtigkeit nicht mehr aus der Gebäudesubstanz herauszubringen. „Das ist für uns hoch problematisch“, so Schaller und räumte ein, mit diesen Schwierigkeiten schon früher gerechnet zu haben.
Vertrauen habe hohen Wert, so Susanne Huber
Damit ließ sich der Gemeinderat jedoch kaum positiver stimmen. „Wir bekommen nicht das, was man uns versprochen hat“, kritisierte Susanne Huber (FW) und erinnerte an den hohen Wert des Vertrauens. „Alles, was jetzt weg ist, ist sehr schwer wieder zu gewinnen.“ Ursula Scriba (Bürgerliste) sprach von einem Armutszeugnis. Jahre seien vergangen, bis publik geworden sei, dass ein Massivbau geplant sei. Dass das Waldschlössl – dort sind Restaurant und Lobby des Wohnstifts geplant – abgerissen werden solle, empfinde sie als Brüskierung des Gemeinderats.
Eine Holzbauweise in den Obergeschossen, wenn wohl auch teurer, weiterhin für machbar zu halten, betonten einige Gremiumsmitglieder. „Ich bin frustriert, weil eine CO₂-neutrale Bauweise bei mir großen Einfluss hatte, wofür ich mich entschieden habe“, so Christine Mair (Grüne). Thomas Schurz (CSU) kündigte an, der Tektur nicht zuzustimmen. „Es muss ein klares Zeichen sein, dass wir uns vera…t vorkommen.“
Die Reaktion von KWA tags darauf: Der Vorstand sei in einer Frühjahrstagung und könne sich erst anschließend beraten, so Geschäftsführer Gerhard Schaller per E-Mail.
Kommentar
Vom Wert des Vertrauens
Mit ökologischen Aspekten haben die Bauherren und Architekt Matteo Thun für die Pläne zum Ambacher Seniorenwohnstift geworben. Wenn nun auf Massiv- statt Holzbau gesetzt werden soll, beschädigt dies das wichtige Vertrauensverhältnis zur Gemeinde.
Eine gute Geschichte erzählen zu können, sei wichtig, um die Menschen von der eigenen Idee zu überzeugen. So wird es wenigstens heutzutage regelmäßig betont. Insofern hat der durch das „Kuratorium Wohnen im Alter“ (KWA) beauftragte Architekt Matteo Thun alles richtig gemacht, als er für seine Pläne des Ambacher Seniorenwohnstifts warb. Im Mittelpunkt standen die ökologischen Aspekte – von der Holzfertigbauweise in den oberen Stockwerken der am Archetypus des Langhauses orientierten Gebäuden, der Nutzung möglichst regionalnaher Materialien bis zu begrünten Dächern, wodurch die Häuser gleichsam mit der Landschaft verschmelzen sollten. Was der italienische Architekt zu berichten wusste, klang womöglich aber fast zu schön.
Das KWA versucht inzwischen zum zweiten Mal, sich von zentralen Element der Holzbauweise in den oberen Stockwerken abzuwenden. Der Hintergrund aus Unternehmenssicht: Statische und bauphysikalische Probleme und wohl auch schlicht und einfach Kostengründe. Nun kann es durchaus sein, dass im Planungsprozess neue Erkenntnisse zum Umdenken zwingen. Allerdings kommt das Umschwenken von Holz- zur Massivbauweise reichlich spät. Nach einem langjährigen Planungsverfahren hat der Gemeinderat den Bauantrag bereits genehmigt und konnte drei Jahre lang darauf vertrauen, dass die KWA die gewünschte Holzbauweise auch umsetzt.
Wenn wirklich stimmt, dass der Geschäftsführer des KWA-Baumanagements deswegen schon länger mit möglichen Statik-Problemen rechnete, wie er in Münsings jüngster Ratssitzung äußerte, hätte dies das Unternehmen dem Gemeinderat frühzeitig offenlegen müssen. Denn solche Transparenz stiftet Vertrauen. Insofern ist die Kritik in Münsings kommunalpolitischem Gremium berechtigt, auch wenn eine Ablehnung des Tekturantrags auch gegen die Rechtslage konsequenter gewesen wäre. Das KWA ist nun gefordert, Vertrauen zu halten.
Der Ambacher Multimediakünstler Felix Kruis entwickelt mit seinem Kollegen Julian Kämper „Sounddramaturgien“ – eine neue Kunstform, die ungeahnte Klanglandschaften eröffnet
Interview: Stephanie Schwaderer, Wolfratshauser SZ vom 12.01.2023
Münsing: Der Ambacher Multimediakünstler Felix Kruis, Jahrgang 1984, hat Kunstwissenschaft studiert und war Meisterschüler von Stephan Huber an der Münchner Akademie der Bildenden Künste. Seine Projekte bewegen sich zwischen Theater, Performance, Film und Multimediakunst. Seit einigen Jahren befasst er sich intensiv mit dem Thema Klang und Raum.
SZ: Herr Kruis, kennen Sie Menschen, die nie einen Kopfhörer aufsetzen?
Felix Kruis: Nein. Der Kopfhörer ist einer der neuen großen Rezeptionsstandards in unserer Welt geworden.
Dennoch soll es sie noch geben. Was entgeht ihnen?
Auf diese Frage gibt es gewiss ganz unterschiedliche Antworten. Bezogen auf meine Arbeit würde ich sagen: Ihnen entgehen dreidimensionale Hörlandschaften, wie man sie nie mit einem Lautsprecher erleben könnte.
Sind diese Hörlandschaften eine neue Erfindung?
Nein, 3D-Audio gibt es bereits seit Jahrzehnten, aber es steckt noch immer in den Kinderschuhen. Zusammen mit Julian Kämper entwickle ich seit 2019 ein Feldrecherche-Projekt mit dem Titel Sounddramaturgien. Das umfasst ein Gebiet mit riesigem Potenzial.
Klang im realen Leben ist immer dreidimensional. Was zeichnet 3D-Audio aus?
Das stimmt, im Alltag höre ich die Geräusche um mich herum in 3D. Sobald ich aber beispielsweise ein Musikstück mit Lautsprecher anhöre, egal ob Mono oder Stereo, wird der Klang – vereinfacht gesagt – zweidimensional. Das kann man sich wie eine Kinoleinwand vorstellen: In der Breite wird ein Klangfeld erzeugt. Dreidimensionaler Klang hingegen titscht überall herum, kommt aus einer Ecke, korreliert mit einem Raum, biegt um die Ecke und verschwindet wieder.
Bildhauerei für die Ohren?
Eher Architektur. Man setzt den Hörer nicht mehr vor die Leinwand, sondern erschafft einen geplanten künstlerisch-ästhetischen Raum um ihn herum.
Auf Youtube kann man Ihren Kollegen Julian Kämper bei einem Kopfhörerkonzert mit den Münchner Philharmonikern erleben. Er bewegt sich auf der Bühne, hat zwei kleine Mikrofone in den Ohren und lässt die Gäste das Konzert auf diese Weise mit seinen Ohren hören. Warum?
Der ganz große Unterschied zu einem normalen Konzerterlebnis besteht zunächst einmal darin, dass sich mit dem Kopfhörer der Sweet Spot der Musik definieren lässt. Also der Punkt, der ein optimales Klangerlebnis bietet. Bei einem analogen Konzert in einem Raum lässt sich nur ungefähr abschätzen, wie die Musik bei den Leuten ankommt. Die Musiker spielen irgendwie in Richtung Publikum. Sie wissen aus Erfahrung: Wenn ich so oder so mit meinem Kollegen zusammenspiele, wird das wahrscheinlich so und so bei den Leuten ankommen. In der Regel funktioniert das einigermaßen. Mit dem Kopfhörer ändert sich alles radikal. Mein Kollege hat dieses spezielle Mikrofon in den Ohren, das es allen anderen, die im Raum Kopfhörer tragen, ermöglicht, mit seinen Ohren zu hören. Und die Musiker spielen nun explizit für seine Ohren. Das verändert radikal das ganze Spiel und die Interpretation eines Stückes. Auch bestehende Stücke bekommen eine ganz neue Fassung. Das ist noch radikaler als bei unterschiedlichen Dirigenten, die ja auch ihre eigene Handschrift haben.
Das heißt: Der Sounddramaturg mit den kleinen Mikrofonen im Ohr entscheidet, wie ein Stück klingt.
Genau. Im Fall der Münchner Philharmoniker haben sich Julian Kämper und ich zusammen mit den Musikern eine exakte Choreografie ausgedacht. Da war nichts zufällig. Deshalb ist es auch nicht vergleichbar mit begehbaren Konzerten, bei den man sich die Orte aussucht, an denen man den Musikern lauscht.
Wird man künftig mit Kopfhörern ins Konzert gehen?
Nein, ich würde nicht sagen, dass alle Konzerte der Welt auf diese Weise gehört werden sollten. Es ist eine ganz eigene Hörsituation mit ganz eigenen Möglichkeiten und einer ganz eigenen Spannung. Eine eigene neue Kunstform. Wir machen auch Experimente mit Theatern oder Kopfhörer-Filme. Die Technik ist allgemeingültig und kann sehr gut für sich allein neben allen anderen Aufführungsformen stehen.
Sie sagen, den Menschen fehle ein „vordergründiges Bewusstsein für die uns umgebende Klangsphäre“. Liegt in unseren Köpfen etwas brach, das sich aufwecken und schulen lässt?
Tatsächlich können Menschen nicht so gut dreidimensional hören, wie sie denken. Links und rechts kann man sehr gut unterscheiden, aber bei oben und unten oder vorn und hinten wird es schon problematischer, vor allem wenn der Klang etwas weiter weg ist. Bassige Klänge sind zudem schwieriger zu erfassen als helle, schneidende. Wenn wir etwas dreidimensional arrangieren, müssen wir es ähnlich wie beim Theater übertreiben, damit es normal ankommt. Fakt ist: Es gibt keine dreidimensionale Hörkultur. Weder bei Konzerten noch beim Filmeschauen sind wir damit vertraut, auch Dolby Surround ändert daran nichts. Man hat keine Erwartung an ein dreidimensionales Hören und weiß gar nicht: Was ist interessant, worauf muss ich achten? Deshalb bauen wir unsere 3D-Konzerte wie eine kleine Schulung auf. Wir beginnen mit einer minimalistischen Klangimprovisation, und zum Schluss gibt es beispielsweise ein komplexes Stück von John Cage, in das man sich richtig fallenlassen kann. Auch bei den Radiosendungen, die wir für den BR und SWR produzieren, nehmen wir die Hörer bei der Hand und lenken ihre Aufmerksamkeit. Dabei kann man auch Tricks anwenden oder mit ikonischen Klängen arbeiten, also mit Klängen, die mit einer klaren Erwartung verbunden sind.
Funktioniert Sounddramaturgie auch bei Leuten, die schlecht hören oder ein Hörgerät brauchen?
Wenn man älter wird und gewisse Töne nicht mehr wahrnehmen kann, wird auch das 3D-Hören schwieriger. Das ist so. Auch das 3D-Gucken im Kino kann nicht jeder, manchen wird schlecht oder schwindlig davon. Für Hörgeschädigte gibt es die Möglichkeit der Induktionsübertragung. Damit haben wir noch nicht gearbeitet. Aber auch das ist ein spannendes Feld.
Von welcher Klanglandschaft träumen Sie? Was würden Sie gerne in 3D umsetzen?
Da habe ich keinen speziellen Wunsch. Es ist eher umgekehrt: Für mich ist es interessant, sehr genau hinzuhören, wie einzelne Räume klingen, und den ein oder anderen dann für ein spezielles Konzert auszuwählen oder für ein akustisches Theaterstück mit einem Ensemble. Neben der künstlerischen Arbeit habe ich aber auch einen wissenschaftlichen Anspruch: Welche Mechanismen bestimmen eine 3D-Klanglandschaft? Welches Handwerkzeug brauche ich, um eine gewisse Wirkmächtigkeit zu erzielen? All das wurde noch nie erfasst.
Sie stellen Ihre Arbeit demnächst beim Ostuferschutzverband vor. Was möchten Sie ihren Gästen in Holzhausen mitgeben?
Einen Eindruck davon, wie sich die Technik und die Hörgewohnheiten in der Welt geändert haben und welche künstlerischen Möglichkeiten dies eröffnet. Ich sehe mich nicht als Aufklärer. Aber ich würde schon gerne vermitteln, dass man den neuen Techniken durchaus Positives abgewinnen kann. Allein mit einem Smartphone und einem Kopfhörer lassen sich ganz neue künstlerische Dimensionen erschließen.
„Die Zukunft des Musikhörens“, Freitag, 27. Januar, 19.30 Uhr, Altes Schulhaus Holzhausen, Kirchbergstraße (gegenüber der Holzhauser Kirche), 15 Euro. Bis Mitte Februar stellen wir Ihnen Kandidatinnen und Kandidaten für den Tassilo-Kulturpreis 2023 vor. Alle Nominierten finden Sie im Internet unter sz.de/tassilo
Ghanaische Ärztekammer würdigt langjähriges Engagement von Prof. Matthias Richter-Turtur, Mitglied des Beirates im OSV
Münsing/Ghana – Seit mehr als 35 Jahren setzt sich der Münsinger Professor Matthias Richter-Turtur, Chirurg und ehemaliger ärztlicher Direktor der Kreisklinik Wolfratshausen, ein für die Ausbildung afrikanischer Chirurgen und für die Verbesserung der chirurgischen Versorgung in afrikanischen Krankenhäusern. Dafür wurde er jetzt zum Ehrenmitglied der Ghanaischen Ärztekammer (Ghana College of Physicians and Surgeons) ernannt.
1986 besuchte Richter-Turtur das westafrikanische Land zum ersten Mal, um dort humanitäre und medizinische Hilfe zu leisten. „Es war der Beginn einer sehr fruchtbaren Partnerschaft, die noch heute Früchte trägt“, heißt es in der Begründung zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft. Während seiner Dienstzeit als Chirurg in Wolfratshausen von 1995 bis 2007 wurden dort allein vier Fachärzte für Chirurgie aus Ghana ausgebildet und 15 weitere in den großen Münchner Krankenhäusern auf ihrem Werdegang und bei Facharztprüfungen unterstützt.
Richter-Turtur sorgte für die passenden Aus- und Weiterbildungsplätze in den Krankenhäusern und für die Arbeitserlaubnis in Deutschland. Nicht wenige junge Mediziner nahmen er und seine Frau bei sich zu Hause in Ammerland auf. „Alle Ärzte kehrten zurück in ihr Heimatland und arbeiten heute in leitenden Funktionen in öffentlichen Krankenhäusern“, berichtet der 74-Jährige. Auch im Ruhestand machte er seinen Einfluss und seine Kontakte geltend, damit medizinisches Equipment und zuletzt Medikamente für Covid-19-Patienten nach Ghana gelangten.
Richter-Turtur ergänzt, dass der Lions Club München-Isartal einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung der meist langjährigen Weiterbildungsaufenthalte der jungen Ärzte in Form von Stipendien unterstützt habe. „Unser gemeinsames Engagement diente der Verbesserung der medizinischen Versorgung in Ghana“, so der Münsinger.
Inzwischen konnte die Aktivität verlagert und ausgeweitet werden in eine Klinikpartnerschaft zwischen der TU München und dem Komfo Anokye Teaching Hospital im ghanaischen Kumasi. Bei der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft in der Hauptstadt Accra im Dezember wurde der Münsinger nach englischer Tradition mit Doktorhut und reich geschmücktem Talar ausgestattet. Die Auszeichnung würdige auch die Kreisklinik Wolfratshausen in ihrer damals wichtigen Funktion als Ausbildungsstätte für junge Mediziner aus Entwicklungsländern, betont Richter-Turtur.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Grasl, sehr geehrte Damen und Herren des Gemeinderates,
wie wir dem aktuellen Aushang der Tagesordnung für die Sitzung am kommenden Dienstag, entnehmen konnten, sollen unter TOP 9 und 10 die Aufstellungsbeschlüsse für vorhabenbezogene Bebauungspläne für zwei Freiflächen-PV-Anlagen gefasst werden. Aus der Presse haben wir entnommen, dass eine Anlage mit ca. 2,7 ha in der Nähe der Autobahnausfahrt Münsing, die andere mit ca. 5 ha in der Nähe des Betriebs Agrobs realisiert werden sollen.
Wir begrüßen, sowohl aus ökologischen wie auch aus Gründen der Energieversorgung in der aktuellen Energiekrise, das von der Gemeinde Münsing vorgelegte Tempo, sowie den Umstand, dass sich die Gemeinde eine Leitlinie zur Entwicklung von Freiflächen-PV-Anlagen gegeben hat, außerordentlich.
Angesichts des Umstandes, dass diese Anlagen mindestens auf die Dauer von 20, wenn nicht 30 Jahren das Orts- bzw. Landschaftsbild Münsings maßgeblich gestalten werden, auch weil ein Freiflächen-PV-Ausbau in Münsing mit einer Fläche von bis zu 25 ha insgesamt vorgesehen ist, bitten wir darum, noch vor Fassen des Aufstellungsbeschlusses eine vorgezogene Bürgerveranstaltung oder ein sonstiges vorgezogenes „Vorverfahren“ durchzuführen. Dieses Vorverfahren soll es einerseits allen Interessenten, die ebenfalls erwägen, Flächen für die Freiflächen-PV zu nutzen, ermöglichen, diese bei der Gemeinde anzumelden; wir sind uns nicht sicher, ob alle Eigentümer von geeigneten Flächen hinreichend Kenntnis über diese anstehenden Entwicklungen in Münsing haben. Auf Basis dieser dann innerhalb einer festzulegenden, nicht allzu langen Frist eingehenden Anmeldungen könnten die dann der Gemeinde gemeldeten Flächen nach einem Kriterien- oder Punktekatalog bzw. der Leitlinie, die sich die Gemeinde Münsing gegeben hat, transparent und vergleichbar bewertet und in eine Reihung gebracht werden. Bei dieser Veranstaltung bzw. in diesem Vorverfahren sollten
auch die Möglichkeiten der bekannten Bürgerbeteiligungsmodelle dargestellt werden, damit die Bürger rechtzeitig Gelegenheit erhalten, hierfür Interesse auszubilden und die wirtschaftlichen Möglichkeiten zu prüfen. Insbesondere sollte es auch dazu dienen, mit den verschiedenen Eigentümern vorab im Rahmen einer Art städtebaulichem Vorvertrag verbindlich zu regeln, dass und welche Art von Bürgerbeteiligungsmodell gewählt wird, weil andernfalls zu befürchten stünde, dass die Bebauungsplanungsverfahren eine solche Eigendynamik entwickeln, dass am Ende diese Thematik zu kurz kommt.
Eine solche Vorgehensweise scheint uns auch gerade aus Gründen der Akzeptanz dieser Anlagen durch die Bürger Münsings geboten. Insbesondere sollte vermieden werden, dass mit den beiden Aufstellungsbeschlüssen jetzt eine Art von Windhundrennen beginnt, wobei dann möglicherweise nicht die geeignetsten Flächen ausgewiesen werden, sondern die der schnellsten Antragsteller. Die Problematik wird offensichtlich, als ja durch die beiden antragsgegenständlichen Flächen schon fast ein Drittel der beabsichtigten Gesamtfläche von 25 ha belegt würde, wovon ein Antragsteller allein ein Fünftel der Gesamtfläche für sich beansprucht. Wir halten es deswegen für essentiell, dass eine Gesamtübersicht über alle in der Gemeinde zur Verfügung stehenden bzw. nach der Leitlinie geeigneten Flächen erlangt wird (sofern noch nicht gegeben) und diese vor Entscheidung über die Ausweisung eine Gesamtbewertung ermöglicht. Im Rahmen der Bewertung sollte auch erwogen werden, jeweils eine Visualisierung, mit Blickrichtungen von verschiedenen Standpunkten aus, durchführen zu lassen.
Diese Vorprüfung ist aus unserer Sicht spätestens im Verfahren ohnehin durchzuführen, da aus naturschutzrechtlichen Gründen eine Alternativenprüfung notwendig sein dürfte. Eine solche Vorprüfung ist aber aus unserer Sicht auch angesichts der Leitlinie der Gemeinde Münsing erforderlich, weil dort nachvollziehbarerweise auf eine ausgewogene Verteilung der Anlagen im Gemeindegebiet Wert gelegt wird. Dabei sollte es aber nicht nur auf die Anzahl der Anlagen, sondern vielmehr auch auf die dem jeweiligen Standort angemessene Größe im Gemeindegebiet ankommen. So dürfte es grundsätzlich wohl angemessener sein, auf eine größere Anzahl kleinerer Anlagen zu setzen, und zwar auch gerade aus Gründen der Akzeptanz der Anlagen in der Bürgerschaft. Dabei scheint es uns aber – und insofern würden wir darum bitten, die entsprechende Aussage in der Leitlinie noch einmal zu diskutieren und gegebenenfalls nachzuschärfen – unerlässlich auf Bürgerbeteiligungsmodelle zu setzen (s.o.). Diese Modelle sind nicht nur wünschenswert, sondern notwendiger Faktor zur Erhöhung der Akzeptanz und Transparenz.
Bei der Bauleitplanung wird es aus unserer Sicht schließlich darauf ankommen, bereits im Durchführungsvertrag Regelungen zum Rückbau der Anlagen vorzusehen. Die Erfahrung zeigt, dass dort, wo einmal gebaut worden ist, ein Rückbau und eine Rückkehr zur Landwirtschaft oder zur Natur eben nicht erfolgt. Ein Verweis auf die spätere Möglichkeit, mittels Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans einen solchen Rückbau zu ermöglichen, ist aus unserer Sicht nicht ausreichend. Die Rechtsfolge des Rückbaus muss bereits jetzt mit bedacht sein.
Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie dieses Schreiben in geeigneter Form den Gemeinderatsmitgliedern rechtzeitig vor der Sitzung zur Verfügung stellten. Wir würden es sehr begrüßen, wenn man sich im Interesse des Landschaftsbildes noch einmal die Zeit nähme, allgemein abzufragen, ob es weitere geeignete oder vielleicht auch geeignetere Flächen gibt bzw. weitere Eigentümer, die diese zur Verfügung stellen würden und wenn man im Sinne der Transparenz und Akzeptanz bei den Bürgern vorab eine eigene Veranstaltung wie oben dargestellte durchführte.
Mit freundlichen Grüßen,
Johannes Umbreit, Petra Schulze, Manfred Stecher, Gustav Neumeister, Mechthild Felsch
Johannes Umbreit ist der neue Vorsitzende des 1929 gegründeten Ostuferschutzverbandes. Im Gespräch erklärt er, wie er sich die künftige Arbeit im Vorstand vorstellt – und wie sich der Verband künftig politisch positionieren will.
Von Benjamin Engel, Wolfratshauser SZ, 4. Oktober 2022
Der Wechsel an der Spitze des Ostuferschutzverbandes (OSV) im vergangenen Juli war turbulent. Schlussendlich löste der bisherige Stellvertreter Johannes Umbreit die langjährige Vorsitzende Ursula Scriba im Vorsitz ab. Umbreit, Professor an der Hochschule für Musik und Theater München, hatte gemeinsam mit den übrigen Vorstandsmitgliedern zunächst zu einer parallelen Mitgliederversammlung eingeladen, dann aber entschieden, sich doch der Versammlung anzuschließen, die Scriba einberufen hatte. Dort wurde er zum Vorsitzenden gewählt.
SZ: Herr Umbreit, ist der Ostuferschutzverband durch die jüngsten Querelen im Vorstand beschädigt?
Johannes Umbreit: Eine Beschädigung eines Vereins kann meiner Ansicht nach nur vorliegen, wenn gegen die Vereinsziele verstoßen wird. Ein Wechsel im Vorsitz ist ein demokratischer Vorgang, und an seinem Stuhl sollte niemand kleben. Die Mitglieder des Vereins haben das wahrscheinlich auch so gesehen, denn Austritte gab es so gut wie keine. Mit der Neuwahl des Vorstands wurde die Lähmung der Vorstandsarbeit überwunden, das Gremium ist nun wieder arbeitsfähig.
Sie sind jetzt neuer OSV-Vorsitzender. Wo sehen Sie die Schwerpunkte Ihrer Tätigkeit?
Den Schwerpunkt meiner Tätigkeit sehe ich darin, den Verein mit der Gesamtheit des Vorstandes zu führen und die Projekte gemeinsam abzustimmen. Es geht darum, den Schutz von Landschaft, Umwelt und Denkmälern der Kulturlandschaft Starnberger See in den Mittelpunkt zu stellen.
In der Satzung steht, dass sich das Tätigkeitsgebiet des OSV von der Linie Starnberg-Seeshaupt bis zum Abfall des Isar- beziehungsweise Loisachtals erstreckt. Der OSV ist aber meist nur in Münsing aktiv. Woran liegt das, und werden Sie das ändern?
Dass der OSV nur am südlichen Ostufer tätig ist, hat sicher neben den historischen Gegebenheiten auch seine Gründe in der Struktur der Besiedelung. Im Bereich Berg/Percha ist schon früher in ganz anderem Maßstab das Seeufer bebaut und die ehemals einheimische Bevölkerung ausgetauscht worden. Kontakte zu Vereinen hat es immer wieder gegeben, und es gibt auch eine Anzahl von Mitgliedern aus diesem Bereich. Eine Intensivierung wäre natürlich wünschenswert.
In der Vergangenheit waren der OSV und die Bürgerliste eng verzahnt. Die Bürgerliste galt als politischer Arm des OSV. Das ist mit Ihrer Wahl nicht mehr so. Ist das eine richtige Trennung oder doch ein signifikanter Einflussverlust?
In der Vergangenheit hat es sich mehrfach gezeigt, dass die Personalunion von OSV-Vorstand und Vertretung der Bürgerliste im Gemeinderat problematisch ist, daher war die Trennung dieser beiden Vereinigungen längst überfällig und wurde schon vor Jahren vehement gefordert, um unabhängig agieren zu können. Ob das nun ein signifikanter Einflussverlust oder die Chance ist, die Unabhängigkeit für unbequeme Themen zu nutzen, wird die Zukunft zeigen. Den Mitgliedern der Bürgerliste bleibt es unbenommen, sich für die Ziele des OSV einzusetzen, wenn sie diese teilen. Weitergehende politische Ziele und Ambitionen sind durch den Vereinszweck nicht gedeckt. Der OSV braucht Gehör bei allen politischen Gruppierungen.
Bei seiner Gründung 1929 hatte sich der OSV zum Ziel gesetzt, die Dampfschifffahrt und den Tourismus zu fördern. Müsste sich der Verein nicht auch zu Themen wie dem abgebauten Dampfersteg in Ammerland oder dem geschlossenen Gastbetrieb im Hotel Sailer positionieren?
Nach hundert Jahren hat sich der Tourismus am Seeufer doch sehr verändert. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass zum Beispiel die Zahl der Radfahrer inzwischen die Zahl der Besucher, die per Schiff kommen, um ein Vielfaches überstiegen hat. Eine Position des OSV muss hier sicher genau bedacht werden, bevor Forderungen aufgestellt werden. Uns allen ist noch in Erinnerung, wie die Schlösser- und Seenverwaltung vor vielen Jahren den Ambacher Steg abzubauen versuchte. Damals war es möglich, durch Briefe und Gespräche das Amt davon zu überzeugen, den Steg zu erneuern und wieder gangbar zu machen, aber das gelang uns beim Staat. Unser Verein kann sich zwar wünschen, dass der Dampfersteg beim Hotel Sailer wieder errichtet wird, die Entscheidung liegt aber beim Grundeigentümer.
Wo sehen Sie denn den OSV in vier Jahren vor der nächsten turnusgemäßen Vorstandswahl? Ist dann beispielsweise endlich die Pocci-Kapelle für die Öffentlichkeit zugänglich?
Eine Fertigstellung der Schlosskapelle Ammerland nach so langer Zeit ist natürlich wünschenswert. Aber wir sind hier nicht das Gremium, das entscheidet, sondern geben Impulse und haben Spenden für das Projekt gesammelt.
Laut der ersten konstituierenden Vorstandssitzung soll es künftig einen Stammtisch geben, um den direkten Kontakt zu den Mitgliedern zu erhöhen. Gibt es schon einen ersten Termin dafür und wie häufig soll der Stammtisch stattfinden?
Über den Ort und Zeitpunkt des Stammtisches werden wir in der nächsten Vorstandssitzung Anfang Oktober sprechen. Geplant ist, diese Einrichtung in möglichst vielen Ortsteilen stattfinden zu lassen, um direkt mit einer großen Anzahl von Bürgern in Kontakt zu kommen.
Müsste der OSV nicht mehr tun, um seine Außenwirkung zu verstärken, etwa auch in sozialen Medien präsent sein?
Auch über diesen Punkt müssen wir im Vorstand beraten. Wir haben einen guten Internetauftritt, der die Mitglieder immer auf dem Laufenden hält. Persönlich bin ich kein Freund der sozialen Medien, aber wenn es uns gelingt, den Verein zu verjüngen – und das sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben – kann es durchaus sein, dass sich hier etwas verändert.
Interview mit dem Vorstandsteam im Merkur vom 11.10.2022
Mit Schrecken entnehmen die Ambacher Bürger der Süddeutschen Zeitung vom 24.07.22, dass nun auch das Anwesen der altehrwürdigen Waldemar-Bonsels-Villa in den Sog von Bodenspekulation und Grundstücksverwertung gerät. Die eigens eingerichtete Waldemar-Bonsels-Stiftung sollte eigentlich dem Andenken von Waldemar Bonsels in Ambach auf seinem Grundstück dienen, die Erträge einem guten Zweck. Das ging jahrzehntelang gut. Bonsels-Verehrer konnten vor Ort an seinem Grab des Meisters gedenken und – wenn sie Glück hatten – Zugang zum noch im Original Zustand befindlichen Arbeitszimmer erhalten. Die Mieterträge des Anwesens konnten der Satzung der Stiftung gemäß verwendet werden.
Nun will aber der Stiftungsrat – dem Zeitgeist und dem Profitinteresse folgend – mehr aus dem Stiftungsvermögen herausholen. Das Grundstück und die Villa sollen meistbietend verkauft werden. Um den Verkaufswert zu steigern kämpft die Stiftung sogar noch um ein Baurecht für ein zweites Haus auf dem Grundstück, obwohl auch der Denkmalgarten unter den Denkmalschutz fällt und der Rahmenplan der Gemeinde Münsing ausdrücklich vorsieht, dass keine weitere Bebauung erfolgen soll. Man darf gespannt sein, ob die Stiftungsaufsicht diesem Umsturz der Stiftungsstruktur zustimmen wird und ob die Gemeinde Münsing ihrem eigenen Rahmenplan folgt und eine weitere Bebauung dieses Grundstücks verhindert. Denn eine weitere Bebauung dient nur der Grundstücks-verwertung und Gewinnmaximierung, schadet aber der landschaftlichen Schönheit des Ostufers, dem Denkmal Bonsels-Villa und dem Andenken ihres ehemaligen Bewohners. Dem Makler Herbst bleibt sein schöner Seeblick aber erhalten, auch wenn es nicht zum Verkauf kommt.
Johannes Umbreit, Petra Schulze, Manfred Stecher, Gustav Neumeister, Mechthild Felsch