Dichter unter Druck

Der Ambacher Anatol Regnier hat ein Buch über Literaten in der NS-Zeit geschrieben

VON VOLKER UFERTINGER

Münsing – Natürlich konnte man es machen wie Hans Fallada. In den verhängnisvollen 1930er-Jahren, als Deutschland die Welt in Brand steckte, saß der seinerzeit berühmte Schriftsteller irgendwo in Mecklenburg, betrieb etwas Landwirtschaft und schrieb Buch um Buch. Die Politik blendete er völlig aus. In den Notizen in seinem Kalender ging es nur darum, woher der Wind kommt, wie viel Regen fällt, und was gesät wurde. Hitler, Himmler oder Goebbels kamen nicht vor.

Für Anatol Regnier, Autor aus Ambach, war genau dieser Kalender eine Offenbarung. Dokumentierte er doch den verzweifelten Versuch, unpolitisch bleiben zu wollen, in Zeiten, in denen genau das nicht möglich war. In den zwölf Jahren, die das angeblich 1000-jährige Reich dauerte, standen deutsche Schriftsteller vor einem Problem, das nicht zu umgehen war: Wie hältst du es mit den neuen Machthabern? Bleiben oder gehen? Kompromisse schließen oder Widerstand leisten? Und wenn man blieb und Kompromisse schloss: Wo war der Punkt erreicht, wo man seine Glaubwürdigkeit verlor? Regniers neues Buch „Jeder schreibt für sich allein“, erschienen bei C.H. Beck, ist eine Anspielung auf ein Fallada-Buch mit dem Titel „Jeder stirbt für sich allein“, kurz nach dem Krieg erschienenen, eine Abrechnung mit der NS-Zeit.

Vor allem geht es um Autoren, die daheim geblieben sind – außer Thomas Mann, Fixstern der damaligen deutschsprachigen Literatur. Viele von denen, die geblieben sind, haben eben deshalb einen schlechten Ruf, nur wenige werden heute noch gelesen wie Gottfried Benn (komplexer Fall) oder Erich Kästner (komplexer als viele denken). Andere sind weitgehend vergessen, wie Ina Seidl oder Börries von Münchhausen, gewiss mit Sympathien für Hitler und die deutsche Revolution, aber keine lupenreinen Nazis. Die plumpen, völkischen Dichter kommen nicht vor. Wohltuend an Regniers Buch ist, dass er kein Interesse am Moralisieren hat, sondern das Dilemma seiner Figuren ernst nimmt. Dabei hilft ihm, dass er in vielen Archiven Nachlässe gesichtet hat, etwa im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar. Das Buch strotzt vor Zitaten.

So entfalten sich auf gut 300 Seiten große und kleine Dramen. Die Zeit ist das Präsens, der Stil ist ruhig und klar, die Darstellung lebensnah. Der Bogen reicht von den verbissenen Machtkämpfen in der Preußischen Akademie der Künste über kleine Episoden wie die unglückliche Liebe von Ina Seidl zu einer Kirchenmalerin bis hin zu jener unseligen Nachkriegsfehde zwischen exilierten und nicht-exilierten Literaten. Auch die Familiengeschichte des Autors blitzt auf: Regniers Mutter Pamela Wedekind war 1924 bis 1928 mit Klaus Mann verlobt, der später den berühmt-berüchtigen Schlüsselroman „Mephisto“ geschrieben hat. Darin wird Gustaf Gründgens als Inbegriff eines gewissenlosen Karrieristen porträtiert. Zu Recht? Kapitel 24 gehört zu den stärksten, weil differenziertesten.

Überhaupt ist es eine große Stärke des Buchs, dass der Ambacher Autor in der Einleitung erzählt, wie er persönlich zum Thema gekommen ist. Im Haus seiner Eltern nämlich – Pamela Wedekind und Charles Regnier – wurde wenig darüber geredet, erst ein Besuch in Israel öffnete ihm die Augen. „Heute weiß ich, es hätte eine Überprüfung auch der eigenen Rollen erfordert, unbedeutend wie sie gewesen sein mag“, schreibt der Autor. Dazu muss man wissen, dass seine Mutter unter Gründgens in Berlin Theater spielte. Und er fährt fort: „Dazu waren meine Eltern nicht bereit, und wir haben sie nicht gedrängt. Vielleicht wollten sie ihre Kinder schonen. Oder sich selbst. Vielleicht hielten sie eine solche Diskussion auch einfach nicht für notwendig.“ Einen gewichtigen Beitrag zur Diskussion hat Regnier jetzt geliefert.

Das Buch: Anatol Regnier: Jeder schreibt für sich allein.
Schriftsteller im Nationalsozialismus. C.H. Beck, 366 Seiten, 26 Euro.