Ärger um Senioren-Anlage in Münsing: Beton statt Holz – Bürgermeister spricht von „Mogelpackung“

Es soll eine große Wohnanlage für Senioren werden. Die Baugenehmigung wurde vor Monaten erteilt. Jetzt meldet sich die KWA – und plant einige Änderungen. Der Gemeinderat fühlt sich getäuscht.

Isar Loisachbote, 30. März von Tanja Lühr

Münsing – Der Gemeinderat fühlt sich vom „Kuratorium Wohnen im Alter“ (KWA) getäuscht. Das Unterhachinger Unternehmen, das wie berichtet im Münsinger Ortsteil Ambach eine Senioren-Wohnanlage mit 79 Apartments, Schwimmbad, Veranstaltungssaal und Tiefgarage bauen möchte, hat vier Monate nach Erteilung der Baugenehmigung den ersten Änderungsantrag (Tektur) eingereicht. Der Bauherr möchte jetzt das historische „Waldschlössl“ inmitten des Ensembles doch nicht wie ursprünglich geplant sanieren und zu einem Restaurant- und Verwaltungsgebäude umbauen. Stattdessen will KWA es abreißen und mit originalgetreuer Fassade wieder errichten.

Ärger um Senioren-Anlage in Münsing: Bürgermeister spricht von „Mogelpackung“

Wie KWA-Baumanager Gerhard Schaller in der Gemeinderatssitzung am Dienstag erklärte, könne die Gebäudesubstanz nach Prüfung durch einen Fachmann nicht erhalten werden. Im Zuge der Freilegung seien wesentlich größere Schäden am Mauerwerk als vermutet erkannt worden. Außerdem soll ein anderes Gebäude um eineinhalb Meter größer werden als geplant. Beides hätte der Gemeinderat noch geschluckt. Ursula Scriba (Bürgerliste) bedauerte allerdings, dass das „Herzstück Waldschlössl“ abgebrochen werden soll. Nach Meinung von Helge Strauß (CSU) ließe es sich durchaus sanieren. Dass KWA von der Holzbauweise, mit der Architekt Matteo Thun von Anfang an geworben hatte, auf Ziegel- und Betonbau mit Holzverkleidungen umschwenken möchte, will sich der Gemeinderat jedoch nicht gefallen lassen. Laut Schaller hat man festgestellt, dass es bei einer reinen Holzbauweise Probleme mit der Statik und Bauphysik geben würde. Die 2,20 Meter breiten Balkone etwa würden ohne Stützen nicht aus reinem Holz funktionieren. Stützen wolle man jedoch keine – wegen der angestrebten „horizontalen Optik“ der Gebäude.

Stararchitekt macht einen Entwurf – „dann stellt sich heraus: Er funktioniert nicht“

Architektin Ursula Scriba ist schleierhaft, warum man die Tragwerksproblematik nicht von Anfang an erkannt hat. Susanne Huber (Freie Wähler) spottete: „Da macht ein Star-Architekt wie Matteo Thun so einen Entwurf und dann stellt sich heraus: Er funktioniert nicht.“ Selbst Bürgermeister Michael Grasl (Freie Wähler) fand deutliche Worte: „Herr Thun hat uns eine Holzbauweise mit Holz aus der Region, kohlendioxidneutral und zu 100 Prozent recyclebar, vorgestellt. Und jetzt geht’s hier um eine Holzoptik“. Das sei eine „Mogelpackung“.

Zimmerermeister Thomas Schurz (CSU) sagte, er fühle sich „geblendet“. Stefan Holzheu (Wählergruppe Holzhausen) sprach von einer „Salamitaktik durch die Tekturen“ und appellierte an den Bauherren, sein Versprechen einzuhalten. Dem schloss sich Christine Mair (Grüne) an. Zumindest in den Obergeschossen könne man ohne Weiteres Holz verwenden.

Holzbauweise sollte nachhaltig werden – jetzt gibt es ganz andere Pläne

Huber sieht das Vertrauen, das der Gemeinderat KWA von Anfang an entgegengebracht habe, aufs Spiel gesetzt. Strauß mutmaßte, dem Bauherrn gehe es „nur ums Wirtschaftliche“, was auch Schurz vermutet. Mit 9:6-Stimmen votierte der Gemeinderat für die beiden Änderungen, das heißt, Abriss des Waldschlössls und Überschreitung eines Bauraums. Ausdrücklich vermerkte das Gremium zum Tekturantrag, dass man besonderen Wert auf eine ökologische Bauweise unter Verwendung regionaler Materialien, insbesondere Holz, lege.

Schaller hatte der geballten Kritik nicht viel entgegenzusetzen. Der KWA-Baumanager versprach, sie mit nach Unterhaching zu nehmen. Eine Stellungnahme war von dort am Tag nach der Gemeinderatssitzung für unsere Zeitung nicht zu erhalten. Bürgermeister Grasl suchte am Mittwoch extra noch einmal die Präsentation des international bekannten und mehrfach ausgezeichneten Mailänder Architketen Matteo Thun für unsere Redaktion heraus. Thuns Entwurf mit sechs lang gezogenen Neubauten in Holzfertigbauweise rund um die Villa Waldschlössl setzte sich 2018 bei einem von der Gemeinde organisierten Wettbewerb gegen das Modell des Büros Beer, Bembé, Dellinger mit sieben kleineren Wohnhäusern und ebenfalls Beibehaltung des „Waldschlössls“ durch. Mit den Schlagworten „zero CO2, zero km und zero waste“ warb Thun damals für seine Häuser aus regionalem Holz. Für den Gemeinderat war das neben der Funktionalität ein wesentliches Argument.

Holzbauweise für Wohnstift unverhandelbar

Wolfratshauser SZ, 30.03.2023 von Benjamin Engel

Das KWA will seine Seniorenrichtung in Ambach doch als Massivbau errichten – und löst damit Kritik in Münsing aus.

Für den Bau des Ambacher Seniorenwohnstifts droht das „Kuratorium Wohnen Alter“ (KWA) im Münsinger Gemeinderat massiv an Vertrauen zu verlieren. Schon vor drei Jahren hatte das Gremium kritisch reagiert, als das Unternehmen bekanntgab, die oberen Stockwerke statt in Holz- in Massivbauweise zu errichten. Ein Rückzieher seitens des KWA folgte. Nun schwenkt das Unternehmen erneut um. Im Rahmen einer Tektur zum Baugenehmigungsantrag wurde öffentlich, dass nur noch eine Ziegelbauweise vorgesehen ist, was viele Gemeinderäte massiv kritisierten. Außerdem will das KWA das historische Waldschlössl-Gebäude abreißen und neu aufbauen statt wie angekündigt zu erhalten. Das Unternehmen argumentiert mit statischen und bauphysikalischen Gründen.

Bleiben die Pläne unverändert, wäre somit nur die Fassade holzverkleidet. „Das reicht uns nicht“, so Münsings Bürgermeister Michael Grasl (FW). Die Holzbauweise sei ein wesentlicher Bestandteil des Architektenwettbewerbs gewesen. Baumeister Matteo Thun habe dies so vorgestellt. Laut Münsings Rathaus-Chef sei der Tekturantrag aus rechtlicher Sicht aber nicht abzulehnen. Es lasse sich nur die Gestaltung, nicht aber die Materialauswahl regeln. Im Waldschlössl sei die Bausubstanz aber so schlecht, dass ein originalgetreuer Neubau besser sei als der Erhalt. Schlussendlich stimmte der Gemeinderat mit neun zu sechs Stimmen zwar der Tektur zu. Im Beschluss findet sich der Satz: „Der Gemeinderat legt besonderen Wert auf eine ökologische Bauweise unter Verwendung regionaler Materialien (insbesondere Holz).“

KWA hält Holz wegen der Statik und Bauphysik für problematisch

Als „ökologisch gar nicht so schlecht“ bezeichnete Gerhard Schaller die KWA-Pläne. Der Geschäftsführer des unternehmensinternen Baumanagements verwies etwa auf 4000 bis 5000 Kubikmeter Abbruchmaterial der früheren Sanatoriumsgebäude, die wieder verwendet würden, etwa Stahl, der zuvor getrennt worden sei. „Die Balkone sind frei tragend, müssen gleichzeitig die Dachlast tragen“, so Schaller. „Das können sie ohne Stützen nach unten in Holz nicht bauen.“ Damit würden die Gebäude auch die von Architekt Matteo Thun angedachte Horizontalwirkung der Fassade verlieren. Zudem komme es in den KWA-Einrichtungen auch immer einmal zu Zimmerbränden, weil etwa demenziell erkrankte Bewohner Kerzen anzündeten und so Feuer auslösten. Müsse gelöscht werden, sei die eingedrungene Feuchtigkeit nicht mehr aus der Gebäudesubstanz herauszubringen. „Das ist für uns hoch problematisch“, so Schaller und räumte ein, mit diesen Schwierigkeiten schon früher gerechnet zu haben.

Vertrauen habe hohen Wert, so Susanne Huber

Damit ließ sich der Gemeinderat jedoch kaum positiver stimmen. „Wir bekommen nicht das, was man uns versprochen hat“, kritisierte Susanne Huber (FW) und erinnerte an den hohen Wert des Vertrauens. „Alles, was jetzt weg ist, ist sehr schwer wieder zu gewinnen.“ Ursula Scriba (Bürgerliste) sprach von einem Armutszeugnis. Jahre seien vergangen, bis publik geworden sei, dass ein Massivbau geplant sei. Dass das Waldschlössl – dort sind Restaurant und Lobby des Wohnstifts geplant – abgerissen werden solle, empfinde sie als Brüskierung des Gemeinderats.

Eine Holzbauweise in den Obergeschossen, wenn wohl auch teurer, weiterhin für machbar zu halten, betonten einige Gremiumsmitglieder. „Ich bin frustriert, weil eine CO₂-neutrale Bauweise bei mir großen Einfluss hatte, wofür ich mich entschieden habe“, so Christine Mair (Grüne). Thomas Schurz (CSU) kündigte an, der Tektur nicht zuzustimmen. „Es muss ein klares Zeichen sein, dass wir uns vera…t vorkommen.“

Die Reaktion von KWA tags darauf: Der Vorstand sei in einer Frühjahrstagung und könne sich erst anschließend beraten, so Geschäftsführer Gerhard Schaller per E-Mail.

Kommentar

Vom Wert des Vertrauens

Mit ökologischen Aspekten haben die Bauherren und Architekt Matteo Thun für die Pläne zum Ambacher Seniorenwohnstift geworben. Wenn nun auf Massiv- statt Holzbau gesetzt werden soll, beschädigt dies das wichtige Vertrauensverhältnis zur Gemeinde.

Eine gute Geschichte erzählen zu können, sei wichtig, um die Menschen von der eigenen Idee zu überzeugen. So wird es wenigstens heutzutage regelmäßig betont. Insofern hat der durch das „Kuratorium Wohnen im Alter“ (KWA) beauftragte Architekt Matteo Thun alles richtig gemacht, als er für seine Pläne des Ambacher Seniorenwohnstifts warb. Im Mittelpunkt standen die ökologischen Aspekte – von der Holzfertigbauweise in den oberen Stockwerken der am Archetypus des Langhauses orientierten Gebäuden, der Nutzung möglichst regionalnaher Materialien bis zu begrünten Dächern, wodurch die Häuser gleichsam mit der Landschaft verschmelzen sollten. Was der italienische Architekt zu berichten wusste, klang womöglich aber fast zu schön.

Das KWA versucht inzwischen zum zweiten Mal, sich von zentralen Element der Holzbauweise in den oberen Stockwerken abzuwenden. Der Hintergrund aus Unternehmenssicht: Statische und bauphysikalische Probleme und wohl auch schlicht und einfach Kostengründe. Nun kann es durchaus sein, dass im Planungsprozess neue Erkenntnisse zum Umdenken zwingen. Allerdings kommt das Umschwenken von Holz- zur Massivbauweise reichlich spät. Nach einem langjährigen Planungsverfahren hat der Gemeinderat den Bauantrag bereits genehmigt und konnte drei Jahre lang darauf vertrauen, dass die KWA die gewünschte Holzbauweise auch umsetzt.

Wenn wirklich stimmt, dass der Geschäftsführer des KWA-Baumanagements deswegen schon länger mit möglichen Statik-Problemen rechnete, wie er in Münsings jüngster Ratssitzung äußerte, hätte dies das Unternehmen dem Gemeinderat frühzeitig offenlegen müssen. Denn solche Transparenz stiftet Vertrauen. Insofern ist die Kritik in Münsings kommunalpolitischem Gremium berechtigt, auch wenn eine Ablehnung des Tekturantrags auch gegen die Rechtslage konsequenter gewesen wäre. Das KWA ist nun gefordert, Vertrauen zu halten.