Der italienische Architekt Matteo Thun über seine Vorstellung von botanischem Bauen, überkommene Eitelkeiten und die Frage, warum es bei Bauprojekten in Deutschland immer Probleme gibt.
Interview von Christine Mortag, Starnberger und Wolfratshauser SZ, 31.03.2023
Der Architekt und Designer Matteo Thun hat schon auf der ganzen Welt gebaut, aktuell aber hält er sich auffallend häufig an den bayerischen Seen auf. Vier große Projekte stehen dort an, am Chiemsee hat er ein Luxushotel konzipiert, am Tegernsee wird die „Kirinus Alpenpark Klinik“ erweitert, am Bodensee hat der 70-Jährige das Interieur für eine Heilfastenklinik entworfen. Und dann wäre da noch Ambach am Starnberger See. Auf dem Areal der ehemaligen Wiedemann-Klinik soll eine moderne Seniorenresidenz nach seinen Plänen entstehen.
Zufall, dass es den gebürtigen Südtiroler immer wieder nach Bayern zieht? „Ich mag Locations, die einen Bezug zum Wasser haben. Eine horizontale Wasserlinie wirkt beruhigend, darum schauen sich Menschen einen Sonnenuntergang so gern am Meer an,“ sagt er gut gelaunt und ganz entspannt beim Gespräch in der Dependance seines Mailänder Studios, einem hellen Büro unterm Dach im Münchner Lodenfrey-Park. „Außerdem steht das erste Haus, das ich als Architekt gebaut habe, in Berg am Starnberger See. 1990 war das, ein Fertighaus in Holzbauweise.“
Gute Nerven, die braucht er auch beim Bauvorhaben in Ambach. Die Pläne sind seit Jahren fertig, dieses Frühjahr sollte es endlich losgehen, nun soll sich der Baubeginn doch noch einmal bis Herbst verzögern.
SZ: Mal ehrlich, dauert es bei anderen Projekten auch so lange?
Matteo Thun: Kommt natürlich darauf an, wo Sie bauen. Jedes Land hat seine Eigenarten. In Deutschland dauert es oft länger, weil alles bis ins letzte Detail geregelt und genormt ist, bis hin zum Neigungswinkel das Daches. Im Mittelmeerraum greifen mitunter andere Mechanismen. Da ist eher die Frage, mit welchen Mitteln Baugenehmigungen erwirkt werden. Aber Ambach war selbst für mich speziell.
Es gab ein Bürgerbegehren gegen den Bau.
Es gibt immer welche, die das Bauen grundsätzlich verhindern wollen. Eine Initiative von Bürgern aus Ambach klagte, die geplante Wohnanlage sei größer als die ursprüngliche Fläche der Gebäude. Das Areal wurde aufwendig neu vermessen. Dabei stellte sich heraus, dass die einstige Bebauung der Wiedemann-Klinik weitaus größer war als im Bürgerbegehren behauptet. Auch besteht kein Anlass zur Sorge, wir würden großflächig Bäume abholzen. Warum sollten wir? Es gibt dort einen fantastischen Baumbestand aus Feldahorn, Bergahorn, Hainbuche, Rotbuche, Kirsche, Linde und Esche. Um den zu erhalten, haben wir sämtliche Gebäude um den alten Baumbestand herum gruppiert. Die Anordnung der Bauten folgt der Natur, sie ist der Hauptakteur. Das verstehen wir unter botanischer Architektur.
Was genau haben Sie in Ambach vor? Wie wird die Seniorenresidenz aussehen?
Es sollen 80 Wohnungen entstehen mit einer Größe von 27 bis 89 Quadratmetern, verteilt auf fünf Gebäude, architektonisch angelehnt an Bauernhöfe mit ihren Langhäusern aus Hof und Stall. Die Sockel der Häuser sind aus Naturstein, die oberen Stockwerke sind meinen Plänen nach aus Holz, damit greifen wir lokale Bautraditionen auf. Die wunderschöne Lage am Hang mit Blick auf den Starnberger See wollen wir auch für die Freianlagen nutzen. Es wird einen Parkrundweg mit Ententeich und zahlreichen Ruheplätzen geben. Neben den beiden größten Gebäuden ist eine gepflasterte Freifläche mit einem Brunnen geplant, gedacht als zentraler Platz für Begegnungen.
„Die Natur ist der Hauptakteur“: Die neuen Gebäude für das Seniorenstift in Ambach sollen sich um den alten Baumbestand herum gruppieren.(Foto: KWA)
Die Holzbauten sind lang gezogen und sollen so dem Gestaltungsprinzip alter landwirtschaftlicher Höfe folgen.(Foto: KWA)
Worauf muss man bei der Planung einer Seniorenresidenz achten?
Da wir von älteren Bewohnern ausgehen, versteht es sich von selbst, dass alle Wohnungen barrierefrei sind. Man kommt überall mit dem Rollator oder Rollstuhl durch, die Bäder haben mehr Platz vor den Waschbecken und Toiletten, der Duscheinstieg ist ebenerdig. In den öffentlichen Bereichen sind alle Ebenen für jeden erreichbar. Und natürlich muss man darauf achten, dass die Schrägen trotz Hanglage maximal sechs Prozent Steigung haben. In fortgeschrittenem Alter kann es außerdem passieren, dass man vergisst, wo man ist.
Und was ergibt sich daraus?
Wege, die ein Ende haben, können für Menschen mit Demenz zum Problem werden, darum haben wir die Wege und die Gebäude kreisförmig angelegt, damit die Bewohner immer wieder zu ihren Wohnungen zurückfinden. Im Alter wird auch Privatsphäre immer wichtiger, das Bedürfnis, in gewissen Situationen nicht gesehen zu werden. Die Wohnungen sollen zwar hell und offen sein, aber nicht von allen Seiten einsehbar. Auf der anderen Seite ist sozialer Kontakt und Austausch gerade für ältere Menschen wichtig. Da gilt es, eine gute Balance zu finden.
Haben Sie bedacht, dass es gerade im Alter schwerfällt, nochmal umzuziehen und Vertrautes aufzugeben?
Selbstverständlich. Wir statten die Wohnung nur mit Küchenzeile und den Bädern aus, damit sich die Bewohner mit ihren eigenen, liebgewonnenen Möbeln und Objekten, ihren „Memory Items“, umgeben können und nicht in unpersönliche Wohnsituationen katapultiert werden. Mancher hängt doch an seinem Esstisch, an dem er sein Leben lang gesessen hat.
Seniorengerecht und trotzdem optisch ansprechend, geht das?
Das ist die Herausforderung, damit es eben nicht aussieht wie im Krankenhaus. Stichwort Stützgriffe in den Bädern. Die kann man zum Beispiel statt aus beigem Kunststoff auch aus versiegeltem Holz herstellen. Wichtig ist auch eine schmeichelhafte Beleuchtung, noch wichtiger aber der Hygieneaspekt, gerade für ältere Menschen. Deshalb sollten alle Armaturen und Schalter möglichst „Touch Free“ sein, also ohne Berührung funktionieren.
Ambach liegt zwar wunderschön am See, ist aber weitgehend abgeschnitten von sozialer Infrastruktur. Kein Geschäft, kein Arzt, der Bus fährt nur ein paar Mal am Tag.
Darum haben wir ein zentral gelegenes Restaurant, Schwimmbad, Gemeinschaftsräume, Kino- und Theatersaal mit eingeplant. Soweit ich weiß, werden Ärzte vor Ort sein, wobei eine Seniorenresidenz kein Altersheim ist. Obwohl Pflege und medizinische Betreuung bei Bedarf möglich sein sollen. Da fragen Sie aber am besten die Betreiberfirma, das „Kuratorium Wohnen im Alter“, kurz KWA.
Beim historischen Waldschlössl auf dem Gelände ist gerade noch die Frage: abreißen oder neu aufbauen? Die KWA favorisiert derzeit eine Rekonstruktion.(Foto: KWA)
Wenn Sie ein Bauprojekt angenommen haben, wie fangen Sie an?
Das hört sich jetzt wenig sexy an, aber bevor wir über die Architektur nachdenken, erstellen wir als Allererstes ein Energiekonzept. Die Frage, wo kommt die Energie her, wie können wir energiesparend und klimaschützend bauen, wird immer wichtiger. Nicht erst seit der aktuellen Krise. Welche alternativen Heiz- und Stromquellen gibt es? Wie ist der Lauf der Sonne, wie die Beschaffenheit des Geländes? Unser Ziel sind die drei Nullen, drei Zero: null CO₂, also effizientes Energiemanagement, geringe Emissionen; null Müll: Die Baumaterialien sollen wiederverwertbar oder recycelbar sein; und null Kilometer: Nutzung von Zulieferern, Arbeitskräften und Materialien aus der Nähe. Die Waldklinik Eisenberg in Thüringen haben wir ausschließlich mit lokalen Unternehmen gebaut. Das kommt der Gemeindekasse zugute und schafft eine ganz andere Verbindung. Da geht der Schreiner aus dem Ort mit seiner Familie vorbei und sagt stolz: Guck mal, das hab ich gebaut.
Was sieht Ihr Energiekonzept für Ambach vor?
Die Energie für Fußbodenheizung und Warmwasser wird durch Geothermie und Abluftwärmepumpen gewonnen. Natürlich braucht man dafür auch Strom. Aber den kannst du dir über Sonnenkollektoren gratis vom Dach holen.
Die wurden genehmigt? Die Gemeinde schreibt doch sogar die Farbe der Dachpfannen vor.
Ja, bei der Photovoltaik mussten wir leider Abstriche machen. Oft sind es veraltete Bauvorschriften, die zeitgemäßen Klimaschutz und Energieeffizienz verhindern. Das ist die Krux.
Wenn das geklärt ist, wie geht’s weiter?
Dann beginnt für mich der schönste Teil der Arbeit. Ich lasse die Umgebung auf mich wirken. Mein Ziel bei jedem Projekt ist es, die Gebäude so gut wie möglich in die Natur zu integrieren. Die Hanglage ist dafür optimal.
Im Ernst? Jeder stöhnt doch über schräge Grundstücke.
Gebäude auf einer ebenen Fläche stehen da wie ein Klotz, wie ein Fremdkörper. Das entspricht nicht meinem Verständnis von Architektur. Wir arbeiten mit der Natur, nicht gegen sie. Hanglagen sind dynamischer, bieten mehr Möglichkeiten, optische Hürden zu vermeiden. Mit den Fassaden aus Holz und der Begrünung der Dächer werden die Häuser in Ambach nach und nach in der Landschaft verschwinden. Wenn man von Tutzing herüberschaut, wird man nur Bäume sehen, keine Gebäude.
Will nicht jeder Architekt, dass seine Häuser erstens herausstechen und zweitens als sein Werk erkannt werden?
Ach herrje, das ist so überholt und letztes Jahrtausend. Es wäre ganz schlimm, wenn jemand sagen würde, das Haus sieht typisch Achtzigerjahre oder typisch Thun aus. Wir versuchen uns, so weit es geht, von Designstatements zu entfernen und den Zeitgeist außen vor zu lassen. Nachhaltigkeit hat auch damit zu tun, dass man bescheiden und zeitlos in der Zeichensprache bleibt. Lieber Eco statt Ego.
Architekt Matteo Thun vor ein paar seiner Entwürfe für das KWA-Seniorenstift in Ambach.(Foto: Catherina Hess)
Sie bauen bevorzugt mit Holz. Warum?
Holz hält ewig, wird mit den Jahren immer schöner, ist nachhaltig und gut für die Gesundheit. Wir nehmen es meist nur unterbewusst wahr, aber wenn das Raumklima stimmt, fühlen wir uns wohl. Holz oder Lehmputz absorbiert die Feuchtigkeit, dadurch spürt man sie nicht in den Gelenken, es findet ein für den Organismus gesunder Austausch statt. Im Gegensatz zu Stahlbeton. Da geht die Luft nicht rein und nicht raus, mit nachweislich gesundheitlichen Schäden, bis hin zu Zahnausfall.
Sie sind Architekt und Designer. Darum planen Sie oft nicht nur das Gebäude, sondern auch die Innenausstattung – bis hin zur Klobrille.
Interdisziplinär und ganzheitlich zu denken, das ist die Mailänder Schule. Eigentlich aus einer Not heraus entstanden. Architekten wie Ettore Sottsass oder Achille Castiglioni schlugen sich erstmal als Designer durch, weil bei uns so wenig neu gebaut wurde. So war es auch bei mir. Heute ist der holistische Ansatz natürlich ein Vorteil, weil der Bauherr alles aus einer Hand bekommt. Der Nachteil: Du kannst dich nicht mehr rausreden, wenn was schiefläuft.
Neben Ihrem Stammsitz in Mailand haben Sie seit 2020 auch eine Dependance in München. Aus welchem Grund?
Es ist immer besser, wenn man die Projekte von Anfang bis Ende selbst betreut und begleitet. Wir sind jetzt in der Lage, mehr Leistungsphasen anzubieten, haben den direkteren Draht zum Kunden. Die Münchner Mitarbeiter können in kürzester Zeit auf die Baustellen fahren. Vorher waren wir auf lokale Architekten angewiesen, wo es ständig hieß: „Liebe Mailänder, schöner Entwurf, aber so geht’s nicht.“ Jetzt gucken wir selbst, was geht und was nicht.
Wie sind Sie überhaupt zu dem Projekt in Ambach gekommen?
Es war ein Wettbewerb, wir wurden angefragt. Wir haben unsere Pläne mehrfach auf der Gemeinde vorgestellt und bekamen am Ende den Zuschlag.
Könnten Sie sich vorstellen, Ihren Lebensabend in der Seniorenresidenz in Ambach zu verbringen?
Das hat mich meine Frau auch schon gefragt. Sie stammt vom Bodensee und kann es sich durchaus vorstellen. Ich bin gedanklich noch nicht so weit, aber fragen Sie mich gern in zehn Jahren nochmal.
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